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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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bewaffnet.
    Dass sie mit Birdie über die Affäre von Lana und Richard Cameron gesprochen hatte, schien auf einmal Jahre her zu sein. Was ihr vor einer Stunde noch wie ein ernstes Problem erschienen war, hatte sich mittlerweile als banal und unwichtig herausgestellt – als Luxusproblem, wie Sean gesagt hätte. Nur Leute, die keine echten Sorgen hatten, konnten sich mit derlei Problemen belasten.
    Kate machte sich vorsichtig von den Mädchen los, die sich an sie klammerten, und kroch unterhalb der Fenster entlang.
    »Mom!«, flüsterte Chelsea.
    Kate hob die Hand. Sie musste herausfinden, wo er war und was er vorhatte. Sie wollte nicht hilflos mit ansehen, wie er ins Haus eindrang. Als sie aus dem Fenster spähte, sah sie, wie er sich zum Haupthaus umdrehte. Die strähnigen Haare hingen ihm ins Gesicht, er hatte breite kantige Schultern. Wer war er? Was wollte er hier? Er wandte sich wieder um, und Kate erstarrte. Er schien sie anzusehen, bewegte sich aber nicht. Den strömenden Regen schien er nicht zu bemerken. Schließlich ging er die Treppe wieder hinunter.
    Kate sah ihm nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte. Von der Veranda aus musste er das Licht im Haupthaus gesehen haben. Wahrscheinlich war er auf dem Weg dorthin. Sie fühlte einen Adrenalinstoß.
    »Mädels«, flüsterte sie, »ihr müsst euch zur Hütte durchschlagen und einen Notruf absetzen.«
    Kate wollte die Mädchen auf jeden Fall vom Haupthaus fernhalten und schickte sie in die entgegengesetzte Richtung und damit aus der Gefahrenzone.
    »Ich habe Dad über Skype erreicht«, flüsterte Chelsea. »Ich habe ihn kaum verstanden, und ich weiß nicht, ob er mich gehört hat, aber ich habe ihm gesagt, dass Fremde auf der Insel sind und wir in Schwierigkeiten stecken.«
    »Okay«, sagte Kate. Sean musste außer sich vor Sorge sein. Was würde er tun? Die Polizei vor Ort anrufen – falls er Chelsea überhaupt gehört hatte. »Wo war er?«
    »Zu Hause, glaube ich.«
    Kate hatte ihn gebeten, nicht zu fahren, wenn er zu müde war. Zum ersten Mal hatte er auf sie gehört und sich um seine Sicherheit Gedanken gemacht. Kate beugte sich zu den Mädchen hinunter.
    »Wir müssen davon ausgehen, dass er dich nicht gehört hat«, sagte sie ernst. »Könnt ihr das schaffen? Könnt ihr zur Hütte schleichen und den Notruf absetzen?«
    Lulu schaute zu Boden und dann in Kates Gesicht. Chelsea nahm ihre Hand.
    »Klar«, sagte sie.
    »Ja«, sagte Lulu, »das schaffen wir.«
    Kate erschrak, als sie den Mut und die Entschlossenheit in den Augen ihres Kindes sah. Auch in Chelsea steckte ein Teil von Birdie. Kate stand auf und durchsuchte die Jacken an den Haken, bis sie zwei Trillerpfeifen gefunden hatte, eine rote und eine aus Silber. Sie hängte jedem Mädchen eine um den Hals.
    »Wenn ihr in Not seid, müsst ihr schreien, pfeifen, euch bemerkbar machen«, sagte sie.
    Obwohl Lulu eben noch voller Überzeugung gewesen war, wirkte sie blass und verängstigt. Aber auf Chelsea war Verlass. Hoffentlich war auch Lulu der Aufgabe gewachsen.
    »Bleibt zusammen«, ermahnte sie die Mädchen. »Und sobald ihr die Hütte erreicht habt, schließt ihr euch ein und bleibt da, egal, was ihr hört.«
    »Was hast du vor?«, fragte Chelsea.
    »Deine Großmutter ist ganz allein«, sagte Kate.
    Eine bessere Antwort war ihr nicht eingefallen. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, aber es war wohl besser, sich das nicht anmerken zu lassen. Chelsea und Lulu beäugten sie skeptisch, so als ahnten sie, dass Kate keinen Plan hatte. Die Mädchen zogen Schuhe und Regenmantel an, und dann verließen sie das Gästehaus zu dritt.
    »Mein Mann hatte immer schon ein Herz für gefallene Mädchen.« Der Satz hallte in Emilys Ohren nach.
    Als Emily klein war, träumte sie oft, ins Bodenlose zu fallen. Es war kein kurzer, heftiger Sturz, bei dem man Arme und Beine von sich streckt, sondern sie fiel langsam und wie in Zeitlupe, es fühlte sich fast wie Fliegen an. Der Sturz schien kein Ende zu nehmen. Emily konnte nichts dagegen tun, sie fiel und fiel. Genauso fühlte sie sich jetzt, als sie Birdie gegenübersaß.
    »Ich kann mich an Ihre Mutter erinnern«, sagte Birdie. »Sie glaubte tatsächlich, sie hätte den Jackpot geknackt.«
    Emily blieb stumm. Birdie saß kerzengerade am Tisch, ihre Schultern waren zurückgezogen, und ihre Ellbogen berührten die Tischplatte. Ihr Blick war kühl und fest, wie der einer Vorstandsvorsitzenden oder einer Richterin.
    »Sie ahnte ja nicht, dass alles mir allein

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