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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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Hölle erwies. Sie selbst hatte dafür gesorgt, dass die Zerstörung Einzug hielt. Sie brachte allen nur Unglück.
    Genau in diesem Moment, kurz bevor sie aufgeben wollte, war das Kind in ihrem Bauch zum ersten Mal keine abstrakte Vorstellung mehr. Es war, als hörte sie eine Stimme, die ihr neue Hoffnung schenkte. Und diese Hoffnung verlieh ihr neue Kraft. Brad packte ihre Haare und riss sie so heftig in die Höhe, dass ihr Nacken knackte.
    »Leg mich bloß nicht rein«, sagte er. »Ich werde die Häuser dem Erdboden gleichmachen.«
    Emily nahm all ihre Kraft zusammen, stieß einen tiefen Kampfschrei aus und fing an, auf ihn einzudreschen. Sie würde ihn besiegen und das Bild, das er von ihr hatte.

NEUNUNDZWANZIG
    S ean hatte seine Mutter angerufen, die sofort herübergekommen war, um sich um Brendan zu kümmern. Nun raste er über den Highway. Die Straße war fast leer und lag in bernsteinfarbenes Licht getaucht. Sean hielt sich annähernd an die Geschwindigkeitsbegrenzung, weil er sich sagte, dass es vermutlich ein Fehlalarm war. Ein Teenager hatte sich in der Nacht gefürchtet.
    Obwohl er hundertzwanzig fuhr und die wenigen Autos um vier Uhr morgens mühelos überholte, hatte er das Gefühl, durch Teer zu waten. Zeit und Raum dehnten sich aus, um ihm einen Streich zu spielen. Roger hatte ihm am Telefon versichert, sich sofort auf den Weg zum Yachthafen zu machen und Bescheid zu sagen, sobald es Neuigkeiten gab. Sean unterdrückte den Impuls, Roger abermals zu belästigen, und rief seinen Schwiegervater an.
    »Joe anrufen«, sagte er laut.
    »Anruf bei Joe«, wiederholte der Bordcomputer. Ausnahmsweise funktionierte das Ding.
    Das Telefon klingelte, das Auto raste dahin. Die Landschaft war nur noch eine dunkle verschwommene Fläche, durchbrochen von einzelnen Straßenlaternen. Es war hypnotisch.
    »Joe Burke.« Der alte Kerl klang so forsch wie immer, und Sean durchzuckte eine alte Angst. Er kam sich vor wie ein Rekrut, der vor seinem Ausbilder stand. In Gegenwart seines Vaters hatte Sean sich nie so gefühlt, genau genommen bei niemandem. Dabei war er Joe nichts schuldig, er lebte nicht von seinem Geld und ließ sich, verdammt nochmal, nicht einmal von ihm zum Essen einladen, im Gegenteil.
    »Hier spricht Sean.« Sean überlegte, ob er »dein Schwiegersohn« hinzufügen sollte.
    Aber Joe sagte:
    »Was ist passiert?«
    Sean schilderte ihm die Lage. Er hörte den Alten schwer ins Telefon atmen.
    »Hast du die Polizei angerufen?«, fragte Joe schließlich. Er klang nicht besorgt, sondern schien verärgert.
    »Ja«, sagte Sean, »und dann habe ich mich auf den Weg gemacht.«
    »Beruhige dich«, sagte Joe. So war er nun einmal, er behielt immer einen kühlen Kopf und wägte alle Möglichkeiten ab, bevor er handelte. Der implizite Vorwurf, er könnte überreagiert haben, gefiel Sean nicht. »Hast du es schon bei Birdie versucht?«
    »Ich kann sie seit gestern Abend nicht erreichen«, sagte Sean.
    »Warum hast du sie nicht begleitet?«
    »Ich hatte einen Termin.« Fast blieb ihm die Erklärung im Hals stecken. Sie klang dumm und unglaubwürdig, und das war sie auch. Warum hatte er sie nicht begleitet? Warum hatten sie nicht auf ihn gewartet? Was hatte es mit dieser bescheuerten Insel und Kates sturen Eltern nur auf sich, dass er und seine Familie sich ständig ein Bein ausrissen? Damit war jetzt Schluss. »Ich musste arbeiten, Joe.«
    Aus Joes Schnaufen sprach pure Verachtung. Dabei hatte Joe früher selbst viel gearbeitet, für ihn hatte der Job immer an erster Stelle gestanden. Die Arbeit der anderen hielt er für weniger bedeutsam. Seans Laune war im Keller.
    »Warum bist du nicht dort?«, entgegnete er und wunderte sich über die eigene Empörung. »Du solltest doch auf der Insel sein.«
    Joe fand immerzu Ausreden, um sich zu verziehen. Eine Verabredung zum Golf, eine Massage, ein »Geschäftsessen«. Joe hatte sich vor Jahren zur Ruhe gesetzt, machte aber immer einen unendlich beschäftigten Eindruck.
    »Ich habe es nicht mehr ausgehalten«, sagte er. »Mit Birdie allein zu sein nimmt mir die Luft zum Atmen.«
    Sean entgegnete nichts; er war sprachlos. Er kannte seinen Schwiegervater nun seit über zehn Jahren, und zum ersten Mal gab er ihm eine ehrliche, ernstgemeinte Antwort. Sonst erging Joe sich häufig in langen Schimpftiraden, die seine eigenen Vorzüge betonen sollten, machte oberflächliche Scherze und kam mit Allgemeinplätzen oder Kommentaren zum Wetter. Vielleicht weil Sean ihn aus dem Bett geholt

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