Gedenke deiner Taten
sich hinter Brad aufbäumte. Ein dunkler Umriss vor dem Nachthimmel. Wer war das, und warum stand die Gestalt im Regen herum?
»Sag Emily, es tut mir leid«, flüsterte er. Eigentlich sagte er es nur in Gedanken. Er bereute viel, aber am meisten, dass er seine Emily enttäuscht hatte. Warum hatte er die Schule geschmissen und sich von diesen Losern zu dem Überfall überreden lassen? Warum hatte er Pillen eingeworfen? Im Grunde wollte er nur für Emily da sein. Er wusste nur nicht, wie man so etwas anstellte.
»Sag schon, Arschloch!«, schrie Brad. Er stützte sich auf Deans Wunde, und der Schmerz schoss durch Deans Eingeweide und bis in seine Zehenspitzen. Er stieß einen unmenschlichen Schrei aus, konnte kaum glauben, dass er so schreien konnte. Brad lächelte nur müde, während er Dean den warmen Pistolenlauf an die Schläfe hielt.
Die schwarze Gestalt kam näher und beugte sich über Brad. Brad reagierte nicht. Bildete Dean sich alles nur ein?
Über eins konnte Dean sich allerdings freuen. Er hatte Emily endlich nach Hause gebracht. Sie hatte ihm diesen Ort immer als lauschiges Paradies beschrieben. Sie vergötterte ihren Vater, der sie verstoßen und mit der gefühlskalten, desinteressierten Martha allein gelassen hatte – einer gemeineren, missmutigeren Zicke war er nie zuvor begegnet. Er musste zugeben, dass seine Absichten nicht immer nobel gewesen waren, immerhin hatte er stehlen wollen, was eigentlich Emily zustand. Diese Leute sollten für alles bezahlen, was sie Emily vorenthalten hatten. Davon hatte er schon geträumt, lange bevor Brad aufgetaucht war und er den Plan in die Tat umsetzen konnte. Er hatte nicht voraussehen können, dass Emily in den Schoß der Familie zurückkehren würde, aber er freute sich darüber. Vielleicht beschützte und akzeptierte ihr Vater sie jetzt als sein Kind, und sei es nur dem Baby zuliebe.
Er fing zu weinen an und schluchzte wie ein Mädchen. Angewidert wandte Brad sich ab. Der dunkle Schatten breitete die Arme aus wie ein schwarzer Nebel, und Dean spürte eine angenehme Kühle. Er schloss die Augen und ließ los. Schlimmer als das Leben, das hinter ihm lag, konnte es nicht werden.
ACHTUNDZWANZIG
K ate stürmte ins Gästehaus und schlug die Tür hinter sich zu. Das dünne Holz mit den Glasscheiben bot keinen Schutz gegen einen Eindringling. Aufgrund des Regens konnte sie nur wenige Meter weit sehen. Sie lehnte sich an die Tür und rutschte daran herunter. Sie rang nach Atem und versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen. Ihre Lungen brannten, jeder Atemzug schmerzte. An einer Hakenleiste neben ihr hingen unzählige Jacken, darunter stapelten sich die Schuhe. Das Regenwasser tropfte von ihrer Jacke auf den Fußboden. Sie versuchte, sich auf die sichtbaren Details zu konzentrieren, um die Zeit anzuhalten und die Panik zu besiegen, die ihren Verstand vernebelte. Es funktionierte nicht.
»Mom?« Klein und verschreckt war Chelsea am anderen Ende der Diele aufgetaucht. »Was ist passiert?«
Chelsea ging auf die Knie und kroch in Kates Arme. Dass ihre Mutter klatschnass war, schien sie nicht zu stören. Kate umarmte sie mit aller Kraft. Sie wollte lügen. Gar nichts. Alles ist in Ordnung. Geh wieder ins Bett. Sie wollte ihr Kind beschützen und schonen.
»Hast du ihn gesehen?«, fragte Chelsea, »hast du den Geist gesehen?«
Kate wünschte, es wäre nur ein Geist gewesen. Sie schilderte ihrer Tochter, was geschehen war. Das Klopfen an der Tür, das gestrandete Pärchen, dessen Identität unklar war. Chelsea setzte sich auf und hörte ruhig und aufmerksam zu.
»Wir haben einen Revolver«, sagte Chelsea schließlich, »im Haupthaus.«
»Wir haben ihn gefunden, als wir den Tisch decken wollten.« Lulu war in die Diele gekommen.
»Duck dich«, flüsterte Kate, »komm her.«
Sie streckte eine Hand nach Lulu aus, die herankroch. Die drei Frauen rückten zusammen und lehnten sich an die Tür. Auf einmal hörten sie schwere Schritte auf der Veranda. Chelsea unterdrückte einen Schrei. Jemand stieg die Stufen hoch und ging am Haus entlang. Sie sahen einen Schatten am Fenster vorbeiziehen, dann wurde es still.
Kate hörte das Blut in ihren Ohren rauschen. Die Mädchen versuchten, leise zu atmen, der Regen prasselte aufs Dach. Alles wirkte unwirklich, wie in einem Traum. Kate dachte an die Signalpistole, die im Haupthaus auf dem Tisch lag. Sie hätte sie an den Strand mitnehmen sollen. Jetzt war sie hilflos und mit den Mädchen allein. Wenigstens war Birdie
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