Gedenke deiner Taten
Unfällen gebracht, und jedes Mal stand er einfach auf und lief weiter, um sich ins nächste Abenteuer zu stürzen. Heute hatte er sich beim Fußballspiel verletzt. Er humpelte.
Anstatt den Abpfiff abzuwarten, waren sie direkt ins nächste Unfallkrankenhaus gefahren. Während Kate auf dem Spielfeld Brendan tröstete und den Knöchel mit Eis kühlte, fragte sie sich – und sie schämte sich dafür –, ob sie nun einen Grund hatte, den Urlaub abzusagen. Aber dem Arzt zufolge war der Knöchel nicht gebrochen, sondern nur verstaucht.
»Wo ist das Kühlpack?«
»Ist mir zu kalt.« Kate bewunderte die Logik des Zehnjährigen.
»Es muss sein!«
Er warf ihr einen ernsten Blick zu.
»Ich mache nur kurz Pause.«
Sie stand auf und ging ins Wohnzimmer, hob den Eisbeutel vom Teppich auf und trug ihn zurück ins Arbeitszimmer. Vorsichtig legte sie den Beutel auf Brendans Knöchel. Ihr Sohn schaute nicht von seinem Nintendo auf.
Sean hatte das Gerät erst vor Kurzem gekauft, hauptsächlich weil Chelseas Vater ihr ohne jeden Anlass ein iPhone geschenkt hatte und Sean sich nun verpflichtet fühlte. In letzter Zeit hatte Kate immer wieder mit ihrem Exmann über die Frage gestritten, ob er Chelsea ohne Absprache teure Geschenke machen durfte.
Obwohl sie es sich hätten leisten können, versuchten Kate und Sean, den Kindern nicht jeden Wunsch sofort zu erfüllen. Chelsea und Brendan führten Wunschlisten, und sie bekamen die Geschenke an Geburtstagen, zu Weihnachten, wenn sie gute Schulnoten nach Hause brachten oder die Eltern sie überraschen wollten. Manchmal gaben Kate und Sean den Rest dazu, wenn die Kinder gespart oder Geld verdient hatten. Aber seit ihr Exmann das plötzliche Verlangen verspürte, Chelsea zu umgarnen (nun, da er trocken war und aus seinen Fehlern »gelernt hatte«), von seinen erdrückenden Schuldgefühlen ganz zu schweigen, überhäufte er sie mit Geschenken – ein iPhone, Designerklamotten, teure Handtaschen.
Niemand kann mir verbieten, meiner Tochter Geschenke zu machen , hatte er an diesem Nachmittag erbost zu Kate am Telefon gesagt. Sie schaffte es nicht, ihm zu erklären, warum es pädagogisch nicht sinnvoll war, Chelsea etwas zu schenken, wofür sie bei Kate lange sparen oder arbeiten musste. Es brachte ein Ungleichgewicht in das Verhältnis von Chelsea und Brendan. Aber man konnte einem Menschen, der sich in seinem ganzen Leben nur für sich selbst interessiert hatte, keine Vorträge über Verantwortungsbewusstsein halten.
Inzwischen sah Brendans Knöchel noch schlimmer aus als auf dem Fußballplatz. Kate legte eine Hand auf Brendans Bein und setzte sich zu ihm aufs Sofa.
»Hör mal«, sagte sie, »vielleicht wäre es besser, die Reise abzusagen?«
Brendan hob den Kopf und riss die Augen auf.
»Das wird bestimmt anstrengend für dich, jetzt, da du verletzt bist.« Sie war eine schreckliche Mutter! Brendans Verletzung als Vorwand zu benutzen und den Urlaub abzusagen war wirklich das Letzte.
»Nein«, sagte er und setzte sich hastig auf, »so schlimm ist es gar nicht!«
Um es ihr zu beweisen, stand er auf und unterdrückte den Schmerz. Traurig setzte er sich wieder hin. Kate umarmte ihn und zog ihn an sich.
»Ich bin so gern dort«, flüsterte er.
Kate verspürte einen Stich. Sie liebte die Insel ebenfalls. Heart Island war magisch und wunderschön, trotz der schrecklichen Ereignisse. Es war nicht allein die gute Luft oder das saubere Wasser, der felsige Strand, der Wind in den Bäumen. Die bezaubernde Stille, die vielen Schmetterlinge. Kate konnte es selbst nicht erklären, aber trotz großer innerer Widerstände zog es sie immer wieder dorthin. Theo hatte aufgegeben, aber Kate nicht. Niemals.
Sie warf einen Blick auf die Uhr. Sie musste Chelsea abholen.
»Wirst du alles absagen?«, fragte Brendan. »Meinetwegen?«
Er sah so traurig aus, so enttäuscht.
»Nein«, sagte Kate und streichelte ihm über den Kopf. »Du bist bald wieder fit.«
Aber anstatt sich zu freuen, runzelte er die Stirn.
»Warum willst du nicht hin?«, fragte er. In diesem Licht schimmerten seine wachen haselnussbraunen Augen fast grün. Er hatte wie seine Schwester helles Haar, nur dass es ihm in wilden Locken vom Kopf abstand. Zu seinem Leidwesen waren seine Nase und seine Wangen mit unzähligen Sommersprossen übersät.
»Will ich doch«, sagte sie. »Es ist eben nicht so einfach.«
Er zuckte die Achseln.
»Darf ich fernsehen?«
Neuerdings erlaubte sie Brendan, allein zu Haus zu bleiben, wenn sie einkaufen
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