Gedenke deiner Taten
hatte weder auf ihre Pinnwand geschrieben, noch hatte er ihr eine Nachricht geschickt. Sie zeigte es Lulu, die aber auf ihr eigenes Handy eintippte und kaum zuzuhören schien.
Schließlich sagte Chelsea:
»Wir sollten jetzt gehen.«
Sie nahm die Tüte mit ihren Einkäufen – weiche Fleecepullover, ein Paar Trekkingschuhe. Lulu hatte sich darüber lustig gemacht, völlig unsexy. Aber auf Heart Island brauchte Chelsea nicht sexy zu sein. Für wen? Chelsea empfand es als unglaublich befreiend, dem Druck, cool sein zu müssen, für eine Weile zu entkommen.
Lulu warf einen Blick auf ihren Blackberry und runzelte die Stirn. Chelsea sah auf die Uhr. Falls sie sich verspätete, rastete ihre Mutter aus. Wahrscheinlich rief Kate jeden Moment an.
»Kommst du?«
Lulu durfte heute bei Chelsea übernachten, weil ihre Eltern ihren Hochzeitstag in der Stadt feierten. Obwohl sie fast jedes Wochenende zusammen verbrachten, schien Lulu sich nicht besonders zu freuen. Chelsea vermutete, dass es etwas mit Conner Lange zu tun hatte. In letzter Zeit hatte Lulu sich abends öfter aus dem Haus geschlichen. Was bei Chelseas Eltern unmöglich war.
»Ja«, sagte sie, »sorry.« Sie klang wie immer, wenn sie genervt oder traurig war, sich aber nichts anmerken lassen wollte.
»Was ist denn los?«, fragte Chelsea.
»Nichts.« Lulu griff nach ihrer Tasche. »Meine Eltern sind fies.«
Lulus Eltern waren eine Art Phantom. Ihr Vater war Hedgefonds-Manager, ihre Mutter Schönheitschirurgin. Sie hatten viel Geld, aber wenig Zeit für Lulu. Wenn sie verreisten, dann an so exotische Orte wie Europa oder Fidschi. Lulu erzählte kaum etwas von diesen Reisen und weigerte sich, Fotos zu zeigen.
Chelsea hakte sich unter, und Lulu ließ den Kopf hängen. Während sie das Einkaufszentrum verließen, lehnte sie sich an Chelseas Schulter. Wer interessierte sich schon für Adam McKee oder Conner Lange, wenn sie einander hatten?
Draußen stand der Range Rover von Chelseas Mom mit laufendem Motor. Kate starrte durchs geöffnete Schiebedach nach oben. Für eine Sekunde erkannte Chelsea sie kaum wieder. Sie sah klein und jung aus, fast wie eine Fremde. Und für einen kurzen Augenblick sah Chelsea ihre Mutter mit den Augen einer Außenstehenden: eine hübsche Blondine in einem Geländewagen, die auf jemanden wartete. Sie sah traurig und verloren aus. Auf einmal bekam Chelsea Panik. Früher hatte sie ihre Mutter oft gefragt: Wo warst du, bevor ich auf die Welt kam? Und ihre Mutter hatte vom Leben in New York City berichtet, vom College, von ihrer Hochzeit. Es klang wie ein Märchen, das Kate ihr vor dem Schlafengehen erzählte. Wie hatte ihre Mutter ohne Chelsea existieren können? Es war unvorstellbar.
Als sie näher kam, bemerkte sie, dass Kate meditierte, tief Luft holte, so, wie sie es Chelsea beigebracht hatte. Chelsea wendete die Methode oft an, um sich zu beruhigen oder zu trösten oder um einen schönen Moment auszukosten. Ich atme ein, sagte sie dann zu sich selbst. Ich atme aus . Sie konnte sich nicht erklären, warum die Übung sie entspannte, warum der Moment sich ausdehnte, aber es funktionierte tatsächlich.
Chelsea öffnete die Beifahrertür, und ihre Mutter begrüßte sie mit einem breiten Lächeln. Auf einmal war sie wieder ihre Mom – normal und froh, ihr Kind zu sehen. Lulu und Chelsea gaben Kate jeweils einen Wangenkuss. Während der Fahrt plauderten sie. Von Adam McKee erzählten Lulu und Chelsea lieber nichts.
Chelsea überlegte, ob es zum Abendessen Pizza gab, immerhin war heute Freitag, vielleicht auch etwas von Taco Bell, falls Brendan seinen Willen durchgesetzt hatte. Ihre Mom und Lulu unterhielten sich über Conner Lange. Kate hatte Conner auf dem Nebenplatz trainieren sehen, bevor irgendein Holzkopf Brendan gefoult hatte. Kate fand Conner ebenfalls soooo süß.
»Hat er was im Kopf? Ist er nett?«, wollte sie wissen. Typisch.
»Ja!«, sagte Lulu. Chelsea wusste, es war Lulu völlig egal.
Chelsea spürte ihr Handy vibrieren. Sie zog es aus der Tasche und las die Nachricht, die auf dem Bildschirm leuchtete.
»Neue Nachricht von Adam McKee«. Hastig ging sie auf Facebook. »Ich schaffe es nicht«, schrieb er, »aber was ist mit heute Abend?«
Mit klopfendem Herzen steckte Chelsea das Handy wieder ein. Sie würde Lulu später davon erzählen, aber zunächst wollte sie das Gefühl allein genießen. Sobald sie Lulu oder ihrer Mom davon erzählte, wäre es nicht mehr dasselbe, wäre es nichts Besonderes mehr. Ein cooler, süßer
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