Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
Vom Netzwerk:
musst du immer so streng sein, Joe? , hatte Birdie ihn unzählige Male gefragt . Was hat der Junge? Er ist doch keine Porzellanpuppe!
    Joe hatte sein gesamtes Leben als Flugzeugingenieur gearbeitet. Er beschäftigte sich mit detaillierten Plänen, aus denen Greifbares hervorging, meistens eine riesige, stählerne, allen Naturgewalten trotzende Maschine. Wenn bei einer Tätigkeit kein physisches Produkt entstand, konnte sie in Joes Augen nicht als Arbeit gelten. Teddy hatte nichts dergleichen vorzuweisen, deswegen stellte Joe sich dumm. War Teddy Programmierer? Irgendetwas in der Richtung. Er verdiente viel Geld damit. Er war erfolgreich. Aber eigentlich ging es gar nicht um Teddys Beruf.
    Denn Teddys Schwester Kate hatte aus ihrem Leben praktisch nichts gemacht, und dennoch überhäufte Joe sie mit Lob. Unsere Kate ist so hübsch, sie ist so eine gute Mutter, sie meldet sich regelmäßig – bla bla bla. Vielleicht erwartete er von Kate weniger, weil sie ein Mädchen war. Dass Kate keine Karriere gemacht hatte, enttäuschte oder überraschte ihn nicht. Im Gegensatz zu Birdie.
    »Macht nichts«, sagte Birdie, obwohl sie es selbst nicht glaubte, »wenn er hier ist, ist er in Gedanken ohnehin immer woanders.«
    In Wahrheit war Teddy mit seinen Gedanken grundsätzlich woanders, nicht nur hier auf der Insel. Nein, das traf es nicht ganz. Teddy war seltsam, distanziert. Am Telefon klang er immer so, als sei er gerade mit etwas anderem beschäftigt, als interessiere Birdie ihn nicht. Wenn sie zusammen waren, versuchte sie, Blickkontakt herzustellen, aber Teddy wich ihr immer aus.
    »Er konnte die Insel noch nie leiden«, sagte Joe.
    »Sie ist eben nicht jedermanns Sache.«
    Das hatte Birdie schon oft gesagt, über die verschiedensten Leute. Nicht jeder war fit genug für die Insel, für den spartanischen Lebensstil. Wer Heart Island besuchen wollte, brauchte Mumm in den Knochen. Birdie hatte genug davon, er war ihr in die Wiege gelegt worden.
    Und dann sagte Joe, so als habe er ihre Gedanken gelesen:
    »Ich glaube, ich werde für ein paar Tage in die Stadt fahren.«
    Birdie trank ihren Kaffee aus und stellte die Tasse in die Spüle.
    »Okay.«
    Sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen. Sie hätte sagen können, dass Kate samt Familie kam, dass sie seine Hilfe beim Putzen und Einkaufen brauchte. Hatte er denn gar keine Lust, seine Prinzessin und ihre perfekten Nachkommen zu begrüßen? Dass die Enkelkinder nicht denselben Vater hatten, schien außer Birdie niemanden zu stören. Einer war ein Trinker, der fremdging – und ein miserabler Autor noch dazu. Und Sean? Tja, was sollte sie über Sean sagen. Sie hätte nie gedacht, dass Kate sich einen Mann wie Sean aussuchen würde. Früher hätte Kate (Katherine Elizabeth Burke – ein schöner, geradezu königlicher Name) einfach jeden haben und sonst was aus ihrem Leben machen können. Sie hatte alle Privilegien und eine erstklassige Ausbildung genossen. Sie hatte nichts daraus gemacht.
    Wenn Birdie darauf bestand, blieb Joe aus reinem Pflichtgefühl auf der Insel. Aber früher oder später käme es zum Streit, und dann verschwand er beleidigt. Joe Burke setzte seinen Kopf immer durch. Man ließ ihn gewähren, oder er ging durch die Wand.
    »Mitte der Woche komme ich zurück, dann sehe ich Katie und die Kinder noch.«
    »Und Sean.«
    »Ja, natürlich, und Sean.« Da war es, das typische Joe-Burke-Blinzeln. »Sean auch.«
    Birdie spielte mit dem Gedanken, Joe von dem Mann zu erzählen, der Gestalt, die sie gesehen hatte. Aber inzwischen war sie sich selbst nicht mehr sicher. Was genau hatte sie gesehen? War da tatsächlich jemand gewesen? Oder hatte es an ihren schlechten Augen, am Wind gelegen? Es wäre doch albern, an seine Beschützerinstinkte zu appellieren. Am Ende machte er sich noch über sie lustig? Er hatte sie immer schon für leicht hysterisch gehalten, für übervorsichtig. Was ihr nichts ausmachte.
    »Ich gehe schnell duschen, dann bringe ich dich zum Yachthafen«, sagte sie. »Und wenn ich schon einmal drüben bin, kann ich den Einkauf für die nächste Woche erledigen.« Siehst du, dachte sie, ich brauche dich nicht. Ich brauche niemanden .
    »Keine Eile«, sagte Joe. Er las seine E-Mails auf dem neuen iPhone. Er war so stolz auf das Ding, zeigte Fotos von den Enkeln herum und kaufte lustige »Apps«. Birdie hasste das Gerät. Sie stellte sich oft sein entsetztes Gesicht vor, wenn sie das Ding einfach aus dem Fenster, dem fahrenden Auto, in seinen Drink warf. Joe

Weitere Kostenlose Bücher