Gedenke deiner Taten
dauerte viel länger, weil Birdie auf dem traditionellen Ablauf bestand. So wurden selbst vielversprechende Unternehmungen zu freudlosen Veranstaltungen. Boot fahren, Rudern, sogar das Picknick auf der Nachbarinsel folgten strengen Ritualen, von denen nicht abgewichen werden durfte.
»Wir können immer noch absagen«, meinte Sean. »Brendans Knöchel würde uns die perfekte Ausrede liefern.«
»Ich will die Kinder nicht enttäuschen.« Das klang fadenscheinig. Kate war zu feige, sich den Konsequenzen zu stellen.
Sean fasste sie um die Taille.
»Weißt du«, er hielt inne, wie um seine Worte vorsichtig abzuwägen, »manchmal ist es okay, andere zu enttäuschen. Wenn wir etwas nicht wollen, haben wir das Recht, nein zu sagen.«
Eigentlich wusste sie, dass das richtig war. Aber immer wenn es um ihre Familie ging, fühlte es sich nicht mehr richtig an.
»Du möchtest nicht fahren?«, fragte sie.
Sean stützte sich auf einen Ellenbogen und starrte an die Decke.
»Ich weiß nicht. Eigentlich nicht«, sagte er. »Ich liebe die Insel. Aber der Preis ist hoch.«
Sein Handy auf der Kommode klingelte. Sean rührte sich nicht.
»Du könntest es ausschalten.« Kate nickte zu dem trällernden, vibrierenden Gerät hinüber. Es vergingen keine zehn Minuten, ohne dass das Ding sich meldete.
»Ich könnte Urlaub gebrauchen«, sagte er. »Aber ich würde auch woanders hinfahren.«
Sean wurde ständig von seinen Klienten bedrängt, schrieb Anzeigen, verhandelte mit Interessenten und Kreditgebern. Im Gegensatz zu anderen, die ohne Laptop und Blackberry nicht leben konnten, nahm er sich Zeit für seine Familie. Aber weil Wirtschaft und Immobilienmarkt im Sinkflug waren, arbeitete er mehr als je zuvor und verdiente dennoch weniger als früher. Er war urlaubsreif.
»Eigentlich könnten wir am Sonntag irgendwohin fahren«, sagte er und machte eine weit ausholende Armbewegung, »wir steigen ins Auto und fahren los.«
Sie hatten nie die Gelegenheit gehabt, zu zweit die Freiheit zu genießen. Als sie sich kennengelernt hatten, war Chelsea ein Kleinkind gewesen. Ein paar Jahre nach der Hochzeit war Brendan zur Welt gekommen. Noch nie hatten sie eine Nacht ohne die Kinder verbracht, und eigentlich wollte Kate das auch nicht. Aber als sie sich vorstellte, einfach loszufahren, selbst mit den Kindern im Schlepptau, wurde sie plötzlich von Fernweh gepackt.
Die Kinder wären nicht einverstanden, ihre Eltern enttäuscht und sauer. Und Kate konnte sich nicht amüsieren, wenn alle böse auf sie waren. Was sagte das über sie aus? Sie wusste es nicht.
»Nächstes Jahr«, sagte sie. »Nächstes Jahr verreisen wir. Nach Hawaii oder nach Europa. An einen ganz besonderen Ort, nur wir vier.«
Sean betrachtete sie skeptisch.
»Versprochen?«
»Versprochen.« Sie meinte es ehrlich. Je länger sie darüber nachdachte, desto besser fühlte es sich an. Sie würden den Kindern und Kates Eltern jetzt schon Bescheid sagen. Dann hätten alle ein Jahr Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie einen Sommer mal nicht Urlaub auf der Insel machten. Theo hatte Recht, sie war nicht gezwungen, jedes Jahr hinzufahren. Der Gedanke, dem Würgegriff ihrer Eltern im nächsten Jahr zu entkommen, erfüllte Kate mit Erleichterung, und sie fühlte sich für die anstehende Reise innerlich besser gerüstet.
Kate stieg aus dem Bett, nahm einen Berg Kleider vom Stuhl und packte weiter.
»Eventuell schaffen wir es bis nach Asien«, sagte Sean und nahm den Laptop vom Nachttisch. Er würde sich sofort Angebote im Internet anschauen und ihr die schönsten – und teuersten – Hotels vorschlagen. Normalerweise hätte sie ihn gebremst, seinen Enthusiasmus gedämpft, ihn zum Zurückrudern gezwungen.
»Oder nach Afrika, in ein Fünf-Sterne-Resort«, schlug er vor. »Die Kinder wären alt genug.«
»Weißt du was, mein Schatz?«, sagte Kate. »Was immer du willst.«
»Das höre ich gern.« Er lächelte.
Sie freute sich, ihn so glücklich zu sehen. Auf einmal war sie nicht mehr so bedrückt. Sie überstand diesen Urlaub locker, alle Ärgernisse würden an ihr abperlen. In diesem Jahr hatte sie endlich ihren Bootsführerschein gemacht. Und sie hatte noch etwas vor. Etwas Wichtiges, das ihr Leben auf den Kopf stellen würde.
Sobald dieser Urlaub vorbei war, würde sie dem Beispiel ihres Bruders folgen. Ein bisschen mehr Abstand und ein neuer Begriff in ihrem Wortschatz: »Nein«.
»Du willst ihm doch nicht etwa deine Telefonnummer geben?«
Normalerweise war Lulu
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