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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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weiß ich das nicht.«
    »Haben deine Eltern so was?«
    »Ich bitte dich. Meine Eltern beachten mich nicht mal, wenn ich im selben Raum bin. Wenn ich mir am Küchentisch einen Joint anzünden würde, kippt meine Mutter höchstens das Fenster.«
    Na ja, ganz so schlimm war es nicht. Lulu übertrieb gern. Eigentlich waren ihre Eltern nett; sie arbeiteten bloß zu viel. Genau genommen behielten sie Lulu in letzter Zeit ziemlich genau im Auge. Lulu verriet Chelsea nicht, warum. Heute hatte Lulus Mom sogar angerufen, um sicherzustellen, dass Lulu tatsächlich bei Chelsea war. Das war noch nie vorgekommen.
    »Deine Mom vielleicht nicht«, sagte Lulu, »aber Sean. Bei ihm könnte ich es mir vorstellen.«
    Sean hatte einen Lieblingssatz: »Chelsea, dir vertrauen wir, im Gegensatz zum Rest der Welt.« Er hatte den Spruch unzählige Male wiederholt, jedes Mal, wenn Chelsea um etwas bat und eine Abfuhr kassierte. Nein, du fährst nicht mit deinen Mitschülern zum Killers-Konzert. Wir bringen dich hin und holen dich wieder ab. Nein, du darfst nicht allein mit Lulu in die Stadt. Wir begleiten euch. Nein, zu der Party gehst du nicht, solange wir nicht mit den Eltern des Gastgebers geredet haben . Hatten sie nicht irgendwann genug, ständig nein zu sagen?
    »Auf keinen Fall«, sagte Chelsea.
    »Ich meine ja nur«, maulte Lulu. »Ich würde mir das von meinen Eltern nicht gefallen lassen. Insbesondere nicht, wenn der eine nur mein Stiefvater wäre.«
    Chelsea lief vor Empörung rot an. Und sie fühlte noch etwas – Trauer, Scham.
    »Er ist mein Dad«, sagte sie. »Wenn es drauf ankommt.« Sie meinte es ehrlich, aber sie klang verunsichert, so als wiederhole sie nur, was Kate und Sean ihr eingeredet hatten. Ihr Satz klang wie eine hohle Phrase.
    »Mein Gott, Chelsea«, stöhnte Lulu. Sie war beleidigt. »Muss bei dir immer alles perfekt sein?«
    Perfekt? Chelseas Leben war alles andere als perfekt. Sie erwartete, dass Lulu jetzt laut loslachte, weil sie einen Witz gemacht hatte. Aber Lulu starrte grimmig ins Leere.
    Wenn Lulu so war, wusste Chelsea nicht mehr weiter. Vorsichtshalber schwieg sie. Sie drehte den Fernseher auf und legte sich neben ihre Freundin. Nach einer Weile schlang Lulu einen Arm um ihre Schulter, und plötzlich waren alle schlechten Gefühle verflogen. Es war wie immer. Sie waren beste Freundinnen, die einander näherstanden als Schwestern.
    Sean zog die Tür zu und blieb vor Chelseas Zimmer stehen. Brendan war in seinem Zimmer und spielte Nintendo, Kate stand unten in der Küche. Er mochte diese Tageszeit, die Ruhe, die sich nach dem Essen und vorm Zubettgehen im Haus ausbreitete. In dieser Zeit blühte er auf. Die Arbeit war getan und die Schularbeiten erledigt, und alle waren unter einem Dach. Sean liebte das Chaos und das Geplauder am Abendbrottisch. Gern half er bei den Hausaufgaben, er machte Popcorn, schaute mit den Kindern fern, brachte sie ins Bett. Er freute sich auf die Zweisamkeit mit Kate, wenn sie den Tag besprachen, analysierten, planten, debattierten, über die Kinder und alles Mögliche sprachen. Früher hatte er mehr vom Leben erwartet, hatte von wilden Partys und Abenteuerreisen geträumt, von Frauen und durchzechten Nächten. Aber es war anders gekommen. Er hatte alles, was er wollte. Er durchquerte den Flur, der einen frischen Anstrich vertragen konnte.
    Der Flur im ersten Stock war mit Fotos der Familie geschmückt – Torschütze Brendan auf dem Fußballplatz, Chelsea beim Reiten, die Hochzeit von Sean und Kate, der Strandurlaub auf Hawaii, Kate auf einem Felsen auf Heart Island. Am liebsten mochte er das Foto mit der kleinen Chelsea. Sie saß auf seinen Schultern, hatte ihre Ärmchen um seinen Kopf geschlungen.
    Sean konnte sich noch genau an den Moment erinnern, in dem Chelsea zu seiner Tochter wurde. Als er Kate kennengelernt hatte, war Chelsea fast vier Jahre alt gewesen, eine unbekannte Lebensform, süß und unberechenbar. Nie zuvor hatte er sich um einen anderen Menschen kümmern müssen. Er hatte nicht einmal ein Haustier gehabt. Bei Kate hatte er das erste Mal ernste Absichten gehegt. Was er mit ihrem Anhängsel anfangen sollte, wusste er zunächst nicht so genau.
    Chelsea besaß Persönlichkeit. Sie war erstaunlich schlau und hatte von Anfang an ihren eigenen Kopf. Sie war klein und wild und wollte ständig irgendetwas. Oft fing sie grundlos zu heulen an. Sie war faszinierend und nervig, bezaubernd und irgendwie beängstigend. Sie war pure Energie; wenn sie unglücklich war, blieb

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