Gedenke deiner Taten
lieber darauf vertrauen, dass die Kinder offen und ehrlich zu uns sind . Im Grunde war er selbst nicht glücklich mit dieser Lösung. Er schob die Schuld auf seinen Freund Brian, der Vater von Zwillingstöchtern war und Sean mit seiner Paranoia angesteckt hatte.
Anfänglich hatte er Brian für vollkommen verrückt erklärt, dann aber selbst nach Spionageprogrammen gegoogelt. Und ehe er sichs versah, installierte er eines auf Chelseas Laptop. Er erzählte Kate nichts davon. Als er Chelsea erwischte, wie sie sich abends aus dem Staub machen wollte, war er nicht stolz auf sich und hielt seine Tat nicht gerade für eine väterliche Glanzleistung. (Auch wenn es zugegebenermaßen großen Spaß gemacht hatte, die Mädchen unten auf dem Rasen abzufangen. Er fand, dass er sehr entspannt mit der Situation umgegangen war.) Aber wer zum Teufel war Adam McKee?
Sean setzte sich an den Schreibtisch und betrachtete den Computermonitor. Er konnte Chelseas Facebook-Chat live verfolgen.
Du wirkst nicht so zickig wie die anderen Mädchen von der Blair. Du bist anders. Also bitte! Was bildete sich der Junge eigentlich ein? Falls er überhaupt ein Junge war. Sean hatte den Namen in die Suchmaschine eingegeben und absolut nichts gefunden. Sehr beunruhigend. Andererseits … was sollte man über einen Schüler schon groß in Erfahrung bringen, wenn er nicht gerade ein umjubelter Nachwuchssportler oder wegen eines Sexualdeliktes oder Fahrens unter Alkoholeinfluss vorbestraft war? Vielleicht waren keine Nachrichten in diesem Fall gute Nachrichten.
»Was tust du da?« Kate betrat das gemeinschaftlich genutzte Arbeitszimmer und legte sich aufs Sofa.
»Ich lade Pornos runter.« Er klickte Chelseas Fenster weg. Sie war ohnehin nicht mehr online, nachdem sie Adam McPenner mitgeteilt hatte, dass sie heute nicht ausgehen konnte. Braves Mädchen. Vermutlich war die Erinnerung an die unverhoffte Begegnung auf dem Rasen noch zu frisch.
»Ha ha«, sagte Kate. »Ich glaube, ich bin fast fertig.«
Sean wandte sich wieder der Website für Abenteuerurlaube zu.
»Was macht Brendans Knöchel?«
»Sieht ziemlich geschwollen aus«, sagte Kate. »Morgen rufen wir an.«
Anscheinend ging es Brendan schlechter; der Fleck an seinem Fußgelenk hatte sich blauschwarz verfärbt. Sean versuchte trotzdem, sich nicht allzu große Hoffnungen zu machen (wie schrecklich das klang!). Brendans Selbstheilungskräfte waren sagenhaft, besonders wenn er ein Ziel vor Augen hatte. Und Brendan liebte Heart Island mehr als jeder andere, Birdie natürlich ausgenommen, die in Seans Augen nichts so sehr liebte wie ihre Insel.
»Für unsere große Reise im nächsten Jahr habe ich drei mögliche Ziele herausgesucht«, verkündete er. Durch Konzentration kannst du deine Energie lenken . Einer von Kates Lieblingssätzen beim Yoga. Zu gern beobachtete er sie, wenn sie ihren gelenkigen Körper in unmögliche Stellungen brachte. Er konnte kaum seine Zehen berühren, so steif war er. Es kümmerte ihn nicht. Männer müssen sich nicht verbiegen.
»Ich bin ganz Ohr«, sagte sie.
NEUN
D ie Insel erhob sich als dunkle Kuppel aus dem grauen Nachmittagsnebel. Es war windig. Sie erwartete sie. Schon als Kind hatte sie gewusst, dass dieser Ort ihr gehörte. Nach und nach hatten alle ihn verlassen, und nun hatte sie ihn für sich allein.
Ihre Schwester war gestorben. Mit ihrem älteren Bruder Gene hatte sie schon lange keinen Kontakt mehr. Du kannst den verdammten Felsen behalten, Birdie. Ihr habt einander verdient . Nach einem erbitterten Erbstreit hatte Gene ihr die Insel überlassen. Und im Laufe der folgenden Jahre hatte sie alles erstritten, woran ihr gelegen war: den Schmuck ihrer Mutter, die Gemälde. Die Leute unterschätzten ihr Durchhaltevermögen. Ihr Bruder behielt die Oldtimer, die Plattensammlung, die alten Instrumente. Sein Geschmack war so gewöhnlich.
Das angekündigte Gewitter war nicht aufgezogen, aber der konstante Nieselregen und das unruhige Wasser sorgten für eine ungemütliche Rückfahrt. Jeder Landratte wäre übel geworden. Nicht Birdie. Sie lenkte das Boot an den Steg, machte es fest und lud die Einkäufe aus.
»Sei nachsichtig, Birdie«, hatte Joe am Bahnhof gesagt, »mit dir und den anderen.«
Darauf wusste sie nichts zu entgegnen. Was stellte er sich vor? Sie musste einkaufen, das Essen vorbereiten, einen Wochenplan erstellen. Die sauberen Laken aus der Wäscherei holen, die Betten beziehen, die Bäder putzen, Blumen in die Vase stellen. Als sie das sagte,
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