Gedenke deiner Taten
sie in einem Anfall von Reue. »Es tut mir so leid.«
»Ist schon okay«, sagte Sean. Der Klang seiner Stimme war tröstlich. Kate seufzte ins Handy. »Mach dir keine Sorgen, Baby, wir kommen bald nach. Alles kein Problem.«
»Mein Großonkel hat die Insel beim Pokern gewonnen«, sagte Birdie in diesem Moment zu John. »Ich weiß nicht, ob die Geschichte stimmt, aber Joe erzählt sie zu gern. Meine Eltern haben sie Heart Island getauft, nach dem Familiennamen. Außerdem sieht sie aus der Luft wie ein Herz aus. Ein glücklicher Zufall.«
Kate hatte die Geschichte unzählige Male gehört. Sie betrachtete die mannshohen Bücherregale am Ende des Wohnzimmers. Sebastians Bücher wurden gut sichtbar auf Augenhöhe präsentiert. Kate fragte sich, ob John Cross sie ihretwegen so aufgestellt hatte.
Falls John Sebastians letztes Buch, das Kate nirgends entdecken konnte, gelesen hatte, wüsste er alles über sie – oder bildete es sich zumindest ein. Möglicherweise kannte er die Kate, die Sebastian entworfen hatte – eine Frau, die sich wie ein Fußabtreter behandeln ließ, eine Co-Abhängige und, zuletzt, treulose Seele. Vielleicht glaubte er, alle intimen Details ihrer Ehe und Trennung zu kennen. Zu ihrer eigenen Überraschung ließ die Vorstellung sie kalt. Die Frau im Buch war eine Fremde, eine von Sebastian gezeichnete Figur. Und selbst wenn Kate Gemeinsamkeiten mit ihr gehabt haben sollte, gehörte das der Vergangenheit an. Die Frau aus dem Buch war ein Phantom, ein kleines, trauriges Gespenst.
»Wir haben auf dieser Insel als Erste gebaut«, sagte John. Kate spürte seinen Blick, hielt den Kopf aber gesenkt. »Wir haben sie den Erben von Richard Cameron abgekauft. Sagt Ihnen der Name etwas, Kate?«
»Selbstverständlich«, antwortete sie und hob den Kopf. John lächelte sie verschwörerisch an. Der Name sagte Kate nicht nur etwas, er versetzte sie geradezu in Alarmstimmung. Falls John es bemerkt hatte, ließ er sich nichts anmerken.
»Wer war er?«, fragte Birdie. Sie sah John stirnrunzelnd an, aber John hielt seinen Blick unbeirrt auf Kate gerichtet. Kate wurde unwohl, aber sie würde ihm nicht das Vergnügen bereiten, ihre Unsicherheit zu zeigen. Sie hielt seinem Blick stand und lächelte ungerührt.
»Richard Cameron war ein schwermütiger, aber brillanter Schriftsteller«, sagte John zu Birdie. »Sein Stil gilt als noir . Seine Bücher sind wunderschöne, ergreifende Charakterstudien. Zu Lebzeiten war er eher unbekannt, aber er stammte aus reichem Hause. Er ist vor vielen Jahren gestorben.«
John nippte an seinem Wein. »Inzwischen ist die Schar seiner Anhänger gewachsen. Er hat berühmte Fans, darunter auch Kates Exmann Sebastian, der Cameron immer wieder eines seiner wichtigsten Vorbilder nennt.«
»Tatsächlich?«, fragte Birdie verwundert.
»Ja«, sagte Kate, »das stimmt.«
Normalerweise freute Birdie sich diebisch, wenn andere, besonders Kate, sich bei einem Gespräch unwohl fühlten. Außerdem stürzte sie sich auf jede Inselgeschichte, weil sie nebenbei an einer Inselchronik arbeitete. Aber nun wirkte Birdie hoffnungslos verwirrt, was Kate Unbehagen bereitete. Eigentlich musste ihre Mutter den Namen Cameron längst gehört haben, aber offenkundig tappte sie im Dunkeln. Birdie klopfte mit dem Fingernagel auf ihrem Ehering herum. Das tat sie nur, wenn sie angespannt oder sehr aufgebracht war.
»Seine Enkelin behauptet, er sei zum Schreiben hergekommen«, sagte John. Offenbar hörte er sich gern reden, egal, ob ihm jemand zuhörte. »Er brachte ein Zelt und Lebensmittel für den ganzen Sommer mit. Ich frage mich aber, ob sie das nur erzählt hat, um den Preis in die Höhe zu treiben.«
Er lachte herzlich. Birdie blieb stumm und betrachtete John aus hellwachen, neugierigen Augen. Je länger Kate nachdachte, desto sicherer war sie, dass Sebastian ihrer Mutter von dem Mann erzählt hatte. Nur deswegen war er immer so erpicht darauf gewesen, Heart Island zu besuchen und mit dem Kajak nach Cross Island überzusetzen. Dann wiederum hatten sie das Thema seit Jahren nicht angeschnitten, und Birdie wurde alt.
»Wie ist er gestorben?«, fragte Birdie.
»Ertrunken«, sagte John knapp. Es wurde still.
»Hier?«
John nickte feierlich.
»Zumindest geht die Forschung davon aus. Eines Tages verschwand er, einfach so. Man fand seine Leiche im darauffolgenden Frühjahr. Sie war nach der Schneeschmelze an einer Nachbarinsel angespült worden.«
Er erhob sich so plötzlich, dass Kate zusammenfuhr.
»Einen
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