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Gedenke deiner Taten

Gedenke deiner Taten

Titel: Gedenke deiner Taten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Unger
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McKee. Seit der Absage hatte Chelsea nichts mehr von ihm gehört. Sie tat so, als mache ihr das nichts aus, denn sie ahnte, dass Lulu ihn, sollte sie etwas bemerken, durch den Kakao ziehen würde. Es war nicht mehr als ein Spiel, und Lulu zog die Strippen. Sobald sie das Gefühl bekam, nicht mehr das Sagen zu haben, zog sie sich beleidigt zurück.
    Als Chelsea den Anleger erreichte, sah sie, dass ihre Mutter am Ruder saß. Ihre Großmutter entdeckte sie erst auf den zweiten Blick. Birdie saß vornübergebeugt neben Kate und hielt sich den Kopf. Der Schreck fuhr Chelsea durch Mark und Bein. Sonst hatte Birdie eine so aufrechte Haltung und war ständig in Bewegung.
    Ihre Mutter warf ihr vom Steuer aus die Leinen zu. Sie schaltete den Motor aus, und Chelsea zog das Boot an den Steg und machte es fest.
    »Was ist passiert?«, rief sie und half Birdie beim Aussteigen.
    »Nichts«, antwortete Birdie. »Alles ist in Ordnung.«
    »Deine Großmutter fühlt sich nicht gut«, sagte Kate in jenem forschen, autoritären Tonfall, den sie immer anschlug, wenn sie ihren Stress überspielen wollte.
    »Hast du den Braten aus dem Ofen geholt?«, fragte Birdie. Sie klang wie eine Schlafwandlerin. »Er wird austrocknen.«
    »Ach, Mutter«, seufzte Kate und zog Birdie auf den Anleger.
    »Habe ich«, sagte Chelsea. Sie war stolz, das vermelden zu können. »Ich habe ihn in Alufolie eingewickelt.«
    Chelsea und Kate stützten Birdie auf dem Weg zum Haus. Die Verandatreppe mussten sie sie praktisch hochschleppen, wie eine Betrunkene zog sie die Füße nach.
    »Es geht mir ausgezeichnet«, jammerte Birdie, »lasst mich los.«
    Als sie hereinkamen, hob Lulu den Kopf. Sie sprang vom Sofa auf und lief auf einen Wink von Kate voraus, um die Tür zu Birdies Schlafzimmer zu öffnen.
    »Was ist los«, fragte sie, »was ist passiert?«
    »Chelsea«, sagte Kate vor dem Schlafzimmer, »lasst uns bitte kurz allein.«
    Kate half Birdie aufs Bett, während Chelsea hilflos auf der Schwelle stehen blieb. Sie kämpfte mit den Tränen.
    »Mom«, fragte sie, »ist alles in Ordnung? Soll ich jemanden anrufen?«
    Wortlos hob Kate Birdies Beine aufs Bett, zog ihr die Schuhe aus.
    »Sollen wir einen Arzt rufen?«, fragte Lulu, die hinter Chelsea im Türrahmen aufgetaucht war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Kate und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Sie machte einen verwirrten, unsicheren Eindruck. Auch das war neu. »Lasst uns kurz allein. Kümmert euch um das Boot.«
    Chelsea und Lulu blieben stehen. Es war zu seltsam, dass die Erwachsenen plötzlich nicht mehr weiterwussten. Bei ihrem Vater Sebastian hatte Chelsea das oft erlebt, aber ihre Mutter und ihre Großmutter hatte sie noch nie so gesehen. Es gefiel ihr gar nicht. Am liebsten hätte sie Sean angerufen und ihm gesagt, dass er schnellstens herkommen sollte.
    Da sagte Birdie:
    »Es war kein Traum.«
    »Ist schon gut, Mom«, flüsterte Kate. Sie sah mit einem Mal noch besorgter aus. »Chelsea, Lulu, kümmert euch um das Boot.« Sie klang ungewohnt streng.
    Chelsea lief hinaus. Inzwischen war es dunkel und kalt geworden. Am Boot gab es nichts zu tun; es war fest vertäut. Es abzudecken ergab keinen Sinn, da sie es womöglich noch für eine Fahrt zum Festland brauchten. Chelsea vermutete, dass ihre Mutter einen Grund gesucht hatte, sie wegzuschicken. Lulu war ihr nach draußen gefolgt.
    »Was ist denn los?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung«, antwortete Chelsea. Ich atme ein, dachte sie, ich atme aus. »Ich glaube, Grandma ist krank.«
    Als sie das Ufer erreicht hatten, entdeckte Chelsea einen Mann auf dem Anleger. Als schwarze Silhouette hob er sich vom dunklen Nachthimmel ab. Chelsea blieb wie angewurzelt stehen, und Lulu prallte gegen ihren Rücken. Chelseas Mund fühlte sich schlagartig trocken an.
    »He, was soll das?«, rief Lulu.
    Chelsea packte Lulu bei der Hand und wich einen Schritt zurück. Sie drehte sich um und schob Lulu in Richtung Haus.
    »Was denn?«, schimpfte Lulu, die im Mondlicht auf einmal sehr blass und sehr jung aussah. »Stimmt irgendwas nicht?«
    Chelsea flüsterte:
    »Da steht jemand auf dem Anleger.« Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Wie war er auf die Insel gekommen, wenn am Anleger nur das Boot der Familie lag?
    Lulu starrte ihr über die Schulter, ohne ihre Hand loszulassen. Dann sagte sie:
    »Ich kann nichts sehen.«
    »Da unten!«, flüsterte Chelsea und drehte sich um.
    Aber da war niemand. Der Anleger war leer. Genau in diesem Moment fing es zu regnen

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