Gedenke deiner Taten
Cross nicht mochte. In ihrem Urteil war Birdie Burke unerbittlich.
Das Haus war tatsächlich entzückend – hohe Räume, ein weiter Ausblick, weiche Sofas. Sean wäre bestimmt sehr beeindruckt und darauf aus, auch den Rest des Hauses zu sehen. In gewisser Hinsicht war es sogar hübscher als das Haupthaus auf Heart Island. Größer, weitläufiger, neuer – was auch Birdie merkte. Ob es John Cross zum Vor- oder Nachteil gereichte, hing ganz von seinem Verhalten ab.
»Wie haben Sie den gestrigen Tag überstanden?«, fragte er mit einem besorgten Stirnrunzeln, das Kate wenig überzeugend fand.
»Oh«, sagte Birdie, »gut.«
»Was war denn los?«, fragte Kate.
»Hat Ihre Mutter Ihnen nichts erzählt?«, fragte John. Offenbar merkte er nicht, dass er ins Fettnäpfchen getreten war. Oder doch? Birdie wandte sich ab und gab vor, ein Gemälde zu studieren. »Sie war der Meinung, einen fremden Mann auf ihrer Insel gesehen zu haben. Wir haben die Polizei gerufen.«
»Es war nichts«, winkte Birdie mit einem gezwungenen Lächeln ab, »ich bin eine alte Frau und habe mich von meinen Augen täuschen lassen.«
»Nun ja«, sagte John, »in der Gegend wurde in letzter Zeit oft eingebrochen, es kam sogar zu Vandalismus. Man kann nie wissen.«
»Ja«, sagte Birdie, »so ist es wohl. Wo steckt eigentlich Ihre Frau?«
Ein schwungvoller Themenwechsel. Wie hatte Birdie ihr das verschweigen können? Und jetzt waren die Mädchen allein. Kate musste den Impuls unterdrücken, einfach aufzustehen.
»Sie musste in die Stadt zurück«, erklärte John. Er fuhr sich mit einer Hand durch das schüttere Haar. »Sie kommt am Wochenende zurück.«
»Mutter«, fragte Kate, »was genau hast du gesehen?«
Widerwillig schilderte Birdie den Vorfall. Dann zuckte sie mit den Achseln.
»Ich habe schlecht geschlafen. Gestern war ich unterzuckert. Nun, da ich mich ausgeruht habe, kann ich mir kaum vorstellen, dass da jemand gewesen sein soll.«
Kate beobachtete ihre Mutter argwöhnisch. Birdie wirkte alles andere als ausgeruht. Sie wirkte blass und kränklich, und auf einmal tat es Kate leid, die Pfeife ins Wasser geworfen zu haben. Die Geste war übertrieben gewesen und sehr rücksichtslos.
»Sollten wir die Mädchen wirklich allein lassen?«, fragte sie.
»Ach, Kate«, sagte Birdie und verdrehte die Augen. »Sei kein Angsthase.«
John schien mit Kate mitzufühlen und warf ihr einen freundlichen Blick zu. Kate wurde rot. Sie wünschte, sie hätte statt der Pfeife Birdie ins Wasser geworfen. John legte ihr wie zum Trost eine Hand auf die Schulter.
»Von hier können wir Ihre Insel sehen«, erklärte er. »Im Notfall sind wir im Nu drüben. Kein Grund zur Sorge.«
Kate musste an die zusammengebrochenen Telefonleitungen denken und an den schlechten Handyempfang. Chelsea wusste mit dem Funkgerät umzugehen, aber das stand leider in der Hütte.
Sie versuchte, an etwas anderes zu denken, als John den Wein ausschenkte und sie zur braunen Sofalandschaft am Fenster führte. Kate musste immerzu hinausschauen. Von hier konnte man Heart Island und den weiten See mit den anderen Inseln ziemlich gut sehen. Die sinkende Sonne zauberte leuchtende Schlieren aus Gold, Lila und Rosa auf die Wasseroberfläche.
Kate erkannte die Giebel von Haupt- und Gästehaus. Das Licht schimmerte zwischen den Bäumen hindurch. Während John und Birdie plauderten, war Kate in Gedanken bei den Mädchen.
Sie trank einen großen Schluck Wein und spürte sofort den beruhigenden, wärmenden Effekt. In einer Viertelstunde würde sie Birdie zum Aufbruch drängen, ob sie nun wollte oder nicht. Kate starrte in den dunkler werdenden Himmel und konnte sich kaum auf das Gespräch konzentrieren. Vorhin hatte sie kurz mit Sean telefoniert. Auf dem Aussichtsfelsen schien der Empfang am besten zu sein – den Mädchen hatte sie nichts davon erzählt. Kate wollte vermeiden, dass die beiden bei jeder Gelegenheit auf den Hügel rannten.
»Der Knöchel sieht nicht gut aus«, hatte Sean gesagt.
»Wirklich?« Schuldgefühle packten sie. Sie hätte nicht fahren, sondern bis Montag warten sollen, dann wären sie alle gemeinsam aufgebrochen. Wieso fiel ihr das jetzt erst ein?
»Mach dir keine Sorgen«, hatte Sean sie beruhigt, »das wird schon. Unser Kleiner ist zäh.«
Dabei hatte Brendan, den sie zuvor kurz gesprochen hatte, alles andere als zäh geklungen, sondern wie ein Junge, der sich nach seiner Mom sehnte und den Tapferen spielte.
»Wir hätten nicht ohne euch fahren dürfen«, sagte
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