Gedrillt
Wertheim. Er klaute gerne bei Wertheim. Da kriegt man doch wenigstens Qualität, pflegte er zu sagen.
Schließlich war es dann Werner, der Lisl durch seine Party schob, wo sie sich gnädig verneigte, ihre Hand zum Kuß reichte oder königlich winkte, je nach dem Grad der Gnade, den die verschiedenen Gäste von Werners Fest in ihren Augen fanden. Ich trug den Koffer meines Vaters in den Keller hinunter, und setzte mich, als ich unten war, für ein paar Minuten hin. Mir war bewußt, wie absurd ich mich benahm, mich so vor Werners Party zu verstecken, ich wußte auch, wie Werner mich auslachen würde, wenn er mich hier unten entdeckte. Aber ich wollte nicht da oben sein, wo hundertundfünfzig ausgelassene Leute, von denen ich die meisten nicht kannte, in Verkleidungen, die ich nicht durchschaute, das Ende von etwas feierten, von dem ich nicht Abschied nehmen wollte. Ich verdrückte mich in das kleine Versteck neben dem Kesselraum, in das ich mich als Kind oft verkroch, um meine Schularbeiten zu machen. Da gab es immer helles Licht und einen hohen Stoß alter Zeitungen und Zeitschriften. Da ich, anstatt meine Schularbeiten zu machen, meist in diesem Pressearchiv schmökerte, wurde mein Deutsch so gut, daß ich bei Wortschatztests und im Aufsatz der Mehrzahl meiner deutschen Klassenkameraden oft überlegen war.
Jetzt machte ich’s genauso. Ich nahm eine Zeitung von dem hohen Stapel, setzte mich auf die Bank und las sie. In Spandau hatte man vergrabene Kanister mit Giftgas entdeckt. Die hatten da seit dem Zweiten Weltkrieg gelegen.
»Bernard, Liebling! Was machst du denn hier unten? Ist dir schlecht?«
»Nein, Tessa. Ich wollte nur meine Ruhe haben.«
»Du bist wirklich der Gipfel, Bernard. Der Gipfel. Der Gipfel.« Sie wiederholte die Worte, als bereite es ihr Vergnügen, sie auszusprechen. Ihre Augen waren weit und feucht. Ich merkte, daß sie high war. Nicht betrunken vom Alkohol. High von irgendwas Stärkerem. »Wirklich der Gipfel«, sagte sie noch einmal. Sie streckte die Arme aus. Der fast durchsichtige gelbe Stoff war an ihren Handgelenken befestigt, und sie verwandelte sich in einen Schmetterling. Das helle Licht zeichnete ihr einen wirbelnden Schatten an die weißgetünchte Wand.
»Was ist denn, Tessa?«
»Dein Freund Jeremy sucht dich überall.« Sie drehte sich, um noch einmal den wirbelnden Schatten zu genießen, den sie warf. »Wer ist Jeremy?«
»Du meinst, Jeremy und wie weiter? Jeremy wer?« Sie lachte schrill. »Jeremy Dingens!« Sie schnippte mit den Fingern. »Jeremy, der kultivierte Affe. Kennst du den Vers: ›Er tut es dem Affen also gleich, daß je höher er steigt, desto mehr Arsch er zeigt‹? Francis Bacon. Du denkst vielleicht, ich bin ein liederliches Mädchen ohne höhere Bildung. Aber ich bin zur Schule gegangen und kann Francis Bacon zitieren wie die Besten von euch.«
»Natürlich kannst du das, Tessa. Aber du scheinst mir selbst ein bißchen hoch zu hängen.«
»Und zeige zuviel von meinem Arsch, was, Bernard, du unverschämtes Aas?«
»Nein, Tessa, natürlich nicht. Aber ich glaube, es wäre vernünftig, wenn du jetzt in dein Hotel zurückgingst. Wo ist denn Dicky?«
»Hörst du mir denn überhaupt zu, Bernard? Jeremy, der Affe, sucht dich überall verzweifelt. Er dreht langsam durch. Er wird ganz zum Affen!« Wieder Gelächter. Leise, aber noch schriller. Es schien einen hysterischen Ausbruch anzukündigen. »Der Funkspruch ist gekommen, und ihr müßt weg.«
»Ist es das, was Jeremy, der Affe, sagt?«
»Der Funkspruch ist gekommen, und ihr müßt weg.«
»Tessa!« Ich schüttelte sie. »Hör mal, Tessa! Reiß dich zusammen! Wo ist der Affe jetzt?«
»Er hat versucht, sich einen von Werners dreiteiligen Anzügen – blau mit Nadelstreifen – anzuziehen, aber Werner ist wütend geworden und wollte ihm keinen Anzug borgen. Und beide haben angefangen herumzuschreien. Werner mag ihn nicht.« Sie lächelte. »Und Werners Anzüge sind Jeremy zu groß.« Ich sagte es langsam: »Wo ist Jeremy, der Affe, jetzt?«
»Ihr fahrt nicht ohne mich. Der Wagen ist hier. Ein Kombiwagen. Ford-Kombi, ein hübsches Blau. Diplomatische Kennzeichen. Draußen im Regen. Jeremy, der Affe, fährt. Affen sind gute Fahrer. Mein Vater hatte jahrelang einen Affen als Fahrer. Und dann fing er an, dauernd zusätzliche Bananen zu verlangen. Affen können furchtbar lästig werden. Habe ich dir das schon erzählt?«
Draußen fiel der Regen in großen, stählernen Güssen, hämmerte aufs Straßenpflaster und trommelte auf
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