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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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wieder mit nach Ostberlin in seine Botschaft. Da wurde mittels vordatierter Papiere der Tote zum afrikanischen Staatsbürger. Verstorben in der Botschaft: Totenschein von einem afrikanischen Arzt ausgestellt, deshalb keine Ermittlungen der Volkspolizei. Stille Beerdigung auf dem Friedhof in Marzahn. Aber jetzt kommt der Witz. Irgendein Idiot im Ausschuß für Auswärtiges der Volkskammer meint, eine Geste des Beileids sei angebracht. Und so schicken sie – im Namen der Regierung und des Volkes der DDR – einen riesigen Kranz, auf dem, aus winzigen Röschen gebildet, die Worte ›Frieden, Vertrauen und Freundschaft‹ zu lesen waren. Der Kranz lag da ein oder zwei Tage auf dem Grab, bis irgend jemand vom Stasi ihn diskret entfernte.« Der Lange lachte laut. »Sei nicht so griesgrämig, Bernie«, sagte er und lachte noch mehr.
»Ich dachte, du hättest bessere Neuigkeiten für mich, Langer. Ich dachte, die Verhältnisse hätten sich ein bißchen entspannt.«
»Ich glaube ja nicht, daß es auf dem Weg über Ungarn oder die Tschechoslowakei leichter geht. Der Zaun ist überall dicht. Und wenn du liest, wie viele Leute bei dem Versuch, über die Mauer zu kommen, getötet worden sind, mußt du die Hunderte noch dazuzählen, die irgendwo außer Sicht auf der anderen Seite in aller Stille verblutet sind.«
»Das ist guter Tee, Gerda«, sagte ich. Ich war noch immer ein bißchen verlegen, wenn ich sie beim Vornamen nannte. Sie war eine von diesen altmodischen Deutschen, denen Höflichkeitsformen noch wichtig sind. Andererseits war sie mit dem Langen verheiratet.
»Willst du jemanden rüberbringen, Bernie?« fragte der Lange. »Hoffentlich ist er reich und kann ordentlich was zahlen.«
»Werners Schwager aus Cottbus«, sagte ich. »Kein Geld, kein gar nichts.«
Werner, der von einem Schwager in Cottbus nichts wußte, sah verdutzt aus, erholte sich aber sofort und stand mir bei. »Ich hab’s versprochen«, sagte Werner und lehnte sich zurück und lächelte wenig überzeugend.
Der Lange sah uns einen nach dem anderen an. »Kann er nach Ostberlin kommen?«
»Er wird in diesem Sommer dort sein«, improvisierte Werner. »Mit seinem Sohn, zum Fest der Freien Deutschen Jugend.« Der Lange nickte. Werner war ein weitaus besserer Lügner, als ich gedacht hatte. Ich fragte mich, ob er sich diese Kunst während seiner Ehe mit der zänkischen Zena angeeignet hatte.
»Dann hast du ja nicht mehr viel Zeit«, sagte der Lange.
»Es muß einen Weg geben«, sagte Werner. Er sah auf seine Uhr und stand auf. Er wollte gehen, ehe ich ihn noch tiefer in dieses Märchen verwickelte.
»Ich werde es mir mal überlegen«, sagte der Lange, als er Werners Mantel und Hut holte. »Hattest du keinen Mantel, Bernie?«
»Nein«, sagte ich.
»Ist dir nicht kalt, Bernard?« sagte Gerda.
»Nein, niemals«, sagte ich.
»Laß ihn«, sagte der Lange. Er öffnete die Tür, aber ehe sie weit genug offen war, daß wir hindurchgehen konnten, sagte er: »Wo ist die andere Hälfte dieses Geldscheines, Bernard?« Ich reichte sie ihm.
Der Lange steckte sie in die Tasche und sagte: »Ein halber Geldschein nützt niemandem was. Stimmt’s, Bernie?«
»Das stimmt, Langer«, sagte ich. »Ich wußte, daß du schnell daraufkommen würdest.«
»Ich komme schnell auf eine Menge Sachen«, sagte er bedeutungsvoll.
»Ach, was denn noch?« fragte ich im Hinausgehen. »Na etwa, daß in diesem Sommer kein Fest der Freien Deutschenjugend in Berlin stattfindet.«
»Vielleicht hat Werner irgendwas falsch verstanden«, sagte ich.
»Vielleicht war’s ja die Gesellschaft für Sport und Technik, die diesen Sommer in Ostberlin ihr Fest feiert.«
»Ja«, rief uns der Lange in seiner rauhen Stimme nach. »Und vielleicht hat ja auch der CIA ein Schnüffler-Festival in Westberlin diesen Sommer.«
»Berlin ist herrlich im Sommer«, sagte ich. »Da trifft sich hier fast alles.«
Ich hörte den Langen knallend die Tür schließen und die Riegel vorlegen mit jenem zusätzlichen Energieaufwand, der oft ein Zeichen schlechter Laune ist.
Als wir die Treppe hinuntergingen, sagte Werner: »Ist es deine Frau Fiona? Versuchst du, sie herauszuholen?« Ich antwortete nicht. Die Treppenbeleuchtung erlosch, und wir setzten den Weg treppab im Dunkeln fort. Gereizt, weil ich seine Frage nicht beantwortet hatte, sagte Werner etwas verdrießlich: »Das war mein Hundertmarkschein, den du dem Langen gegeben hast.«
»Na und«, sagte ich, »es geht doch schließlich um deinen Schwager, oder?«

4
    Manche Leute sind

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