Gedrillt
geborene Hoteliers, andere bemühen sich, Hotels zu erwerben, aber Werner Volkmann war einer von den seltenen Vögeln, denen ein Hotel aufgezwungen wird. Man könnte sich nicht leicht einen Mann vorstellen, der zur Leitung eines Hotels weniger berufen gewesen wäre als mein guter Freund Werner Volkmann. Seine Fürsorglichkeit für Tante Lisl, die alte Frau, die ihn, den Waisen, großgezogen hatte, zwang ihn, die Leitung ihres Hotels zu übernehmen, als sie zu alt und krank wurde, ihr despotisches Regiment fortzusetzen. Es war kein luxuriöses Etablissement, konnte aber kaum zentraler gelegen sein. Vor dem Krieg war es das Wohnhaus von Lisls Familie im vornehmen Neuen Westen gewesen. Die Teilung Berlins zwischen den Russen und den West-Alliierten 1945 machte aus dieser Gegend das Zentrum des »kapitalistischen Berlin«.
Werner veränderte einiges, nahm aber dabei auf Lisls Gefühle Rücksicht, denn sie wohnte noch im Haus und überwachte jeden neuen Vorhang, jeden Farbtropfen, so daß die Veränderungen den Charakter dieses angenehmen alten Hauses, dessen Inneres zum großen Teil noch so war, wie es vor fünfzig Jahren gewesen, kaum berührten.
Nachdem wir an jenem Abend bei Koby gewesen waren, ließ ich mich von Werner überreden, in sein Hotel zu ziehen. Es hatte ja auch wenig Sinn, den Schmutz und die Unbequemlichkeit meines Kreuzberger Schlupfwinkels wieder aufzusuchen, nachdem Frank Harrington mir nun bewiesen hatte, daß er wußte, wo er mich jederzeit packen konnte, wenn er wollte. Ehe wir zu Bett gingen, lud Werner mich auf ein Glas ein. Wir gingen durch die aufpolierte Bar – es war außer uns niemand dort – in das kleine Büro dahinter. Er schenkte mir ein gutes Glas schottischen Whisky ein, ohne viel Wasser. Werner trank Sodawasser mit nur einem Spritzer Underberg. Ich sah mich um. Eine erstaunliche Verwandlung hatte stattgefunden, erfreulich besonders für jemanden, der Werner von früher kannte. Der Raum hatte den Charakter einer Studentenbude angenommen, und da waren viele von Werners lang verschollenen Schätzen wunderbar wieder aufgetaucht. Ein Löwenkopf war da, ein von Motten zerfressener alter Bursche, auf dessen hölzernen Untersatz irgendein betrunkener Angeber säuberlich geschrieben hatte: felix leo venerabilis. Daneben an der Wand hing eine alte Uhr. Auf die Vorderseite ihres hölzernen geschnitzten Gehäuses war eine bukolische Szene nicht sehr überzeugend gemalt. Sie tickte laut und ging acht Minuten nach, war aber praktisch Werners einziges Erbstück von seinen Eltern. Von der Decke hing das Modell eines Dornier-Flugboots, das Werner in langer Arbeit selbst gebaut hatte: zwölf Motoren, und wenn man die Verkleidung eines dieser Motoren zurückschlug, sah man drinnen deren Bau in allen Einzelheiten. Ich weiß noch, wie Werner an diesen winzigen Motoren arbeitete, über eine Woche lang war er schlechter Laune gewesen.
Wir hatten noch kaum mehr gesagt, als daß der Lange sich gut gehalten habe, und was für ein wilder alter Teufel er doch sei, als Ingrid Winter hereinkam.
»Bernie bleibt hier bei uns«, sagte Werner weniger begeistert, als mir lieb gewesen wäre; aber so war Werner eben. Ingrid war hereingekommen, ohne mich zu bemerken. »Ach, das ist schön«, sagte Ingrid. Man konnte Ingrid leicht für eine schüchterne alte Jungfer halten, denn sie gab sich gerne so. Ihr ergrauendes Haar, das sie nicht tönte, ihre ruhige Stimme und der Stil ihrer wollenen Kleider mit Blumenmustern trugen zu diesem Bild bei. Aber obwohl ich sie noch nicht lange kannte, hatte ich doch Ingrid schon als eine tapfere, starke Frau kennengelernt. Werner hatte die gleiche Entdeckung gemacht, aber nicht nur die, denn die Beziehung zwischen ihnen war eng. »Diese Frau war wieder hier«, sagte sie in mißbilligendem Ton zu Werner.
»Die Duchess?«
»Die Engländerin. Die Frau, von der du gesagt hast, daß sie gern ihre Nase in Sachen steckt, die sie nichts angehen.«
Werner blickte mich an und grinste selbstbewußt. »Was wollte sie?«
»Der Duchess gefällt es hier«, bemerkte ich. »Sie hofft, daß bei euch so was wie ein Club für ihre Bekannten entsteht.« Werners Gesicht spannte sich. Ingrid sah ihn an, während ich sprach, aber ihr Gesicht verriet keine Gemütsbewegung, spiegelte nicht mal diejenige meines Freundes. Werner sah mich an und sagte: »Ingrid glaubt, da steckt mehr dahinter.«
»Was denn?«
»Ich habe ihr von Frank erzählt«, sagte Werner, als erklärte das alles. Als ich darauf nicht
Weitere Kostenlose Bücher