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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Die Häuser am Hauptplatz – die königlichen »MariaTheresiagelben« Stuckfassaden zu einem Ausschlag kreidiger
Narben verfallen – waren mit Brettern vernagelt. Die Läden
desgleichen.
Ich drückte noch einmal den Heizungsknopf. »Zum
letztenmal, Staiger. Wann haben Sie vor, mir zu erklären, was
das alles soll?« In London hatte man mir gesagt, ich sollte tun,
was immer er mir sagte. Ich tat dies, aber es machte mir keinen
Spaß, im dunkeln gelassen zu werden.
Er rutschte auf seinem Sitz, als würde ihm der Rücken steif.
»Das kann ich nicht«, sagte er umgänglich, wie er es schon so
viele Male gesagt hatte auf dieser endlosen und unbequemen Reise. »Meine Anweisung ist, Sie an den Ort zu bringen, den
wir besuchen müssen. Weiter nichts.«
»Und wieder zurück?«
Er lächelte. »Ja. Auch, Sie zurückzubringen. Um vier. Das
ist alles, was ich weiß.« Bisher hatten sich die spärlichen
Brocken Unterhaltung, die wir austauschten, auf Wiener
Klatsch beschränkt, bei dem es meistens um Leute ging, die ich
nur flüchtig oder gar nicht kannte. Schlimmer noch, ich hatte
mir Staigers Beobachtungen über Wiener Konditoreiwaren,
insbesondere Torten, anhören müssen. Er hatte mir eingehend
erläutert, weshalb er die einschichtige Einfachheit der Linzer
Torte jedem anderen Erzeugnis von Sacher vorzog. Er hatte
mir des weiteren die verborgensten Geheimnisse von Demels
delikater Haselnußtorte offenbart und mir erklärt, welche unter
der reichen Auswahl von Torten gewannen, wenn man sie mit
Schlagsahne genoß, und welchen diese Dekoration im
Gegenteil schadete. Er gab mir sogar die Adresse eines kleinen
Cafés, dessen Sachertorte wegen der außerordentlichen
Qualität der Aprikosenfüllung derjenigen vorzuziehen war, die
einem bei Sacher selbst serviert wurde. »Was soll ich bei
diesem Treffen machen? Haben sie Ihnen das nicht wenigstens
gesagt?«
Er riß sich unwillig von seinen Torten los. »Sie haben
gesagt, das würden Sie schon wissen.«
»Ist es ein Russe?«
»Ich sagte es doch, ich weiß es nicht. Das ist die Wahrheit.
Ich weiß es nicht. Bald werden wir dort sein.« Er war
enttäuscht, daß seine Thesen über Zuckerbäckerei so kühl
aufgenommen worden waren. Zu irgendeiner anderen Zeit
hätte mir seine Dissertation vielleicht Spaß gemacht, hätte ich
ihn vielleicht sogar gern auf eine Kaffeeklatschtour durch die
Stadt begleitet. Aber nicht heute.
Die Wolken waren dunkel, und in dem trüben Licht sahen
die fernen Berge unnatürlich groß aus. Alles war grau; der Himmel war grau, die Berge waren grau, die Gebäude der Bauernhöfe waren grau, sogar der Schnee war grau. Wie ein schlechter Abzug von einem Schnappschuß: nirgends weder schwarz noch weiß. So wie jetzt das Leben in Osteuropa. Keine Ideale mehr. Der Kommunismus war verblaßt, aber Kapitalismus nicht zum Vorschein gekommen. Jeder wurstelte
sich durch, duldete, aber glaubte nicht.
Wir fuhren weiter und weiter, langsamer jetzt, da die Straße
so schlecht war. Wir kamen zu einer Straßengabelung, wo zwei
khakifarbene Lastwagen am Straßenrand standen. Drei Mann
in Tarnjacken und mit Tarnnetzen bezogenen Stahlhelmen
standen an der Ladeklappe des hinteren der beiden Fahrzeuge.
Als wir näher kamen, konnte ich sehen, daß einer von ihnen ein
Offizier war, die anderen beiden waren Unteroffiziere und
trugen automatische Gewehre am Riemen über der Schulter.
Sie drehten sich nach uns um, als wir vorbeifuhren. An dieser
Gabelung bogen wir auf eine noch schlechtere Straße ab. Bald
hielt der grüne Wagen an und ließ uns vorbeifahren. Als wir
ihn überholten, starrten uns die Männer darin mit einer Neugier
an, die solche Leute selten zeigen. Staiger schien das nicht zu
ängstigen. Die Straße stieg, und wir rumpelten und ratterten
über einen Pfad voller Schlaglöcher, wo Eiskristalle
schlammige Pfützen überzogen. Auf den Feldern waren Inseln
alten Schnees geschrumpft und entblößten den harten Boden.
Am Himmel kreisten Vögel, die schon beschlossen, wo sie die
Nacht verbringen würden. Überall lag noch Schnee. Am Rande
dieses entlegenen und engen Fahrwegs gab es hohe
Schneewehen, auf deren Oberfläche winzige Eisdiamanten
funkelten, ohne die übliche Kohlenstaubschicht, die der
Durchgangsverkehr zurückläßt.
»Sie sind da«, sagte Staiger. »Sehen Sie die Reifenspuren?« »Ja«, sagte ich.
»Oder vielleicht war es auch die Entwanzungsmannschaft.« »Haben Sie was zu essen mit?« fragte ich.
»Ich dachte, wir würden Zeit haben, auf der

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