Gedrillt
Kopf getürmte blonde Haar glitzerte von Juwelen. Das Makeup war vielleicht ein bißchen zu dick aufgetragen, aber das gehörte sich wohl so für jemanden, der gerade von der Opernbühne kam. Die Gäste begrüßten sie mit einem feierlichen Gemurmel der Scheu und Andacht. Von den Staigers begleitet, ging die gnädige Frau von einem zu anderen wie ein General, der eine Ehrenwache abschreitet. Hier war mit tiefer Verbeugung ein »Herr Doktor …« und die »Frau Doktor …« seine Frau. Die Gattin des Bürokraten, »Frau Kommerzialrat«, machte eine Art Hofknicks. Der »Hofrat« – Rat am Hofe einer schon vor seiner Geburt abgeschafften Monarchie – küßte ihr die Hand. Anna-Klara hatte für jeden ein liebenswürdiges Wort und besondere Komplimente für Andras Scolik und sein Streichquartett, zu dessen Aufführung sie nicht hatte kommen können. Scolik strahlte. Anna-Klara hatte ihn gelobt. Und wenn alle Stricke rissen, gab es immer noch den Strudel.
Es war ein bravouröser Auftritt, und mit sicherem Instinkt blieb Anna-Klara auch nur auf ein Glas Champagner. Nachdem sie gegangen war, löste sich die Party schnell auf. Es war Mitternacht, als ich mich mit Karl Staiger in dessen Büro hinter dem Laden begab. Alle Kirchenglocken Wiens schlugen die Geisterstunde. Der Raum roch nach Firnis, und Staiger öffnete das Fenster einen Spaltbreit trotz der bitteren Kälte draußen. Dann nahm er einen Stoß ungeöffneter Briefe, die am Zifferblatt einer alten Kutscheruhr lehnten, und verglich deren Zeit mit seiner Taschenuhr. Die alte Kutscheruhr war ein schönes Stück, auf das Zifferblatt waren tanzende Damen gemalt. Die Unruhe tickte glücklich in dem verglasten Gehäuse. Er nickte mir stolz zu, wie ein Vater lächeln mag, wenn ein Kind den Gästen etwas auf dem Klavier vorspielt. Befriedigt verschob er weitere Bücher und Papiere, um Platz auf der Schreibtischplatte frei zu machen, wo eine Lampe mit grünem Schirm einen vollkommen runden Schein auf eine rosa Schreibunterlage warf. »Was ist passiert?« sagte Staiger.
»Ich habe ihn nicht gekriegt«, sagte ich. Ich hatte nicht die Absicht, mit ihm über Johnsons Tod zu reden oder Thurkettle und dessen mögliche Rolle bei diesem Mord zu erwähnen.
»Wen oder was haben Sie nicht gekriegt?« Er hatte die Arme voller Bücher.
Aus meiner Brusttasche zog ich die Farbfotografie des Umschlags und legte sie genau in die Mitte des Lichtkreises. »Das«, sagte ich und strich das Bild glatt, »das habe ich nicht gekriegt.« Er legte die Bücher auf eine Anrichte und sah auf das Bild hinab. Dann, ohne ein Wort, nahm er das an der Uhr lehnende Bündel Post, blätterte es durch und entnahm ihm ein Päckchen, das mit den großen und eindrucksvoll gestalteten Etiketten eines Kurierdienstes beklebt war. Es war eine kleine gepolsterte Versandtüte, mit Metallklammern verschlossen. Mit einer mühelosen Handbewegung riß er den Umschlag auf und schüttelte den Inhalt heraus.
Auf den Tisch glitt ein blauer Umschlag mit ParaguayBriefmarken und Zeppelinstempeln: derselbe Umschlag, der auf der Farbreproduktion abgebildet war, auf die er fiel.
»Aber ich habe es«, sagte Staiger mit zufriedenem Lächeln. »Erzählen Sie?« Ich nahm den Umschlag in die Hand, der so viel Ärger bereitet und vermutlich den Tod des liebenswürdigen Johnson verursacht hatte. Ich drehte ihn in meinen Händen. Es schien ein so nutzloses Stück Papier zu sein – für diesen hohen Preis.
»Ich weiß nur, was man zwischen den Zeilen lesen kann«, sagte er. »Aber ich glaube, die Amerikaner haben jemanden geschickt, der Ihnen den Umschlag wegschnappen sollte. Ich mußte mich mit einem der größten Händler in Wien in Verbindung setzen – einem alten Freund – und ihn bitten, ihn mir um jeden Preis zu besorgen.«
»Er muß telefonisch mitgeboten haben.«
»Es war keine Zeit mehr, noch jemanden nach Salzburg zu schicken.«
»Der Bieter im Saal war bestochen und die Auktion manipuliert. Dieses Gebot jedenfalls.«
»So was kommt vor«, sagte Staiger. »Ich hatte keine Ahnung, daß die Amerikaner versuchen würden, sich da einzumischen, sonst hätte ich Ihnen mehr Geld gegeben. Aber es hat schließlich doch noch geklappt. Ich sollte den Umschlag besorgen. Und ich habe ihn gekriegt.« Er hob ihn vom Tisch auf und hielt ihn gegen das Licht.
»Ist da irgendwas drin?«
»Gewöhnlich etwas zur Verstärkung des Umschlags, eine Karte, manchmal die Geschäftskarte eines längst vergessenen Briefmarkenhändlers.« Doch während er das
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