Gedrillt
du
vollkommen wahnsinnig geworden?«
Sie musterte mich von oben bis unten und lächelte. Wer
weiß, welche Feindseligkeit sie gegen mich hegte? Sollte sie
ihrerseits genauso böse auf mich sein, ließ sie sich’s jedenfalls
nicht anmerken. Sie wartete darauf, daß mein Zorn verpuffte,
womit sie rechnen konnte, und lächelte wieder. Noch immer
hatte sie dieses wunderbare Lächeln, das mich gleich bei
unserer ersten Begegnung überwältigt hatte. Es war ein
humorvolles Lächeln, ein wenig spöttisch, aber mit der
Einladung, ihre Sicht der Welt um uns herum mit ihr zu teilen,
eine Einladung, der ich nie hatte widerstehen können. »Es gibt nichts zu essen hier. Nichts. Ich wußte, daß du
hungrig sein würdest.«
Ihre Stimme war ausdruckslos, vielleicht absichtlich, und
obwohl sie meine Frau war, hätte ich nicht sagen können,
welche Gefühle sie hatte. So war das immer gewesen.
Manchmal fragte ich mich, ob es diese Rätselhaftigkeit war,
die sie so anziehend für mich machte, und ich überlegte, in
welchem Maße sie ihrerseits mich nicht verstand. Nicht in
irgendeinem besonderen Maße, glaube ich.
»Bernard, Liebling.« Sie versuchte, die Arme um mich zu
legen, aber ich wich ihr aus.
Sie sagte: »Wie geht es den Kindern?« Und die Wärme ihres
Körpers verbrannte mich, und ich wurde überwältigt von einem
Duft, den ich fast vergessen hatte.
»Prima. Du fehlst ihnen.« Ich setzte hinzu: »Du fehlst uns
allen.« Ihre Augen lachten mich aus. »Billy ist so groß. So groß
wie du vielleicht. Er ist ganz verrückt nach Autos, hat Poster,
Modelle und sogar einen großen Motor aus Kunststoff, den er
dauernd auseinander nimmt und zusammensetzt.«
»War das dein Weihnachtsgeschenk?« fragte sie und bewies
damit ihre bemerkenswerte Intuition. Es war Wahnsinn zu
versuchen, ihr was zu verheimlichen, und trotzdem versuchte
ich’s noch immer.
»Ja. Es wurde als ›pädagogisches Spielzeug‹ bezeichnet«,
sagte ich. Sie lachte. Wir wußten beide, welchen Spaß wir
damit hatten, daß ich den so angepriesenen Sachen nie
widerstehen konnte. »Sally ist ausgewählt worden, bei einer
Schüleraufführung die Portia zu spielen. Ich glaube, Billy ist
ein bißchen eifersüchtig.«
Sie lächelte. »Ja, das kann ich mir denken. Billy ist der
Schauspieler. Aber welche Portia? Im Kaufmann von
Venedig?«
»Julius Cäsar.«
»Natürlich!«
»›Und bin ich Euer Selbst
Nur gleichsam, mit gewissen Einschränkungen?
Beim Mahl um Euch zu sein, Eu’r Bett zu teilen
Auch wohl mit Euch zu sprechen? Wohn ich denn Nur in der Vorstadt Eurer Zuneigung?
Ist es nur das, so ist ja Portia
Des Brutus Buhle nur und nicht sein Weib.‹«
»Was für ein Gedächtnis du hast!« Fiona sagte: »Du mußt
antworten:
›Ihr seid mein echtes, ehrenhaftes Weib,
So teuer mir als Purpurtropfen
Die um mein trauernd Herz sich drängen!‹
Hast du denn Shakespeare nicht in der Schule gelernt?« »Ich habe ihn auf deutsch gelernt«, sagte ich. Das amüsierte
sie. »Ich lese eine Menge dieser Tage: Dickens, Jane Austen,
Trollope, Thackeray, Shakespeare.« Irgendwo tief in meinem
Inneren beunruhigte mich das. Ausschließlich englische
Autoren. Der verräterische Unterton von Heimweh hätte wohl
die meisten Sicherheitsleute beunruhigt. Aber das sagte ich
nicht. Ich fuhr fort: »Portia wird ein entzückendes Kostüm
tragen. Blau mit goldener Borte.« Sie streckte ihre Hand nach
mir aus. Ich nahm sie. Ich empfand eine erstaunliche Intimität
bei dieser formellen Gebärde. Ihre Hand war klein und warm,
sie hatte immer warme Hände gehabt. Sie sagte: »Wie absurd,
daß es so kommen mußte« und dann, eilig, wie um einem
anderen Gang der Unterhaltung, den sie vermeiden wollte,
zuvorzukommen, setzte sie hinzu: »Es war so schwierig für
mich, Berlin zu verlassen, und dann mußte ich plötzlich an
dieser Konferenz in Prag teilnehmen, und es war leicht.« Eine
nicht ganz überzeugende Fröhlichkeit lag in ihrer Stimme, ein
Ton, den gehört zu haben ich mich erinnerte, wenn sie
versuchte, darüber zu spaßen, daß Billy die Grippe kriegte und
sich seinen Geburtstag damit verdarb, oder wenn sie zornig die
Autotür aufriß und den Lack zerkratzte.
»Wieviel haben sie dir erzählt?«
Ich trat zurück, um sie anzusehen. Sie war so wunderschön
wie immer. Ihr Haar war glatt zurückgekämmt in dem strengen
Stil, den sie sich zugelegt hatte, seitdem sie im Osten war. Sie
trug ein einfaches dunkelgrünes Kostüm, das von Chanel hätte
sein können, ich vermutete aber, daß eine wunderbare
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