Gedrillt
daß Axel wieder mal bessere Noten gekriegt hatte als ich.
Er riß die Verpackung von einem Zuckerwürfel. Alles, was er tat, tat er mit einer gewissen Wildheit, um nicht zu sagen Bösartigkeit. Begrüßungen, Verabschiedungen, selbst Danksagungen zeugten bei ihm von dieser ständigen Kampfbereitschaft. Ich fragte mich, ob er sich die Pose während des Krieges als junger Offizier angewöhnt hatte, um seine Autorität zu behaupten. Mit der Zeit mochte die Pose seine wahre Natur erstickt haben.
»Und jetzt arbeitet er als Angestellter im Polizeipräsidium. Ich weiß, da verschwendet er seine Begabung, aber auf mich hört er ja nicht.« Er warf den Zucker in seinen Kaffee.
»Vermutlich macht er sich Sorgen um seinen Sohn.«
»Seinen Sohn? Was für Sorgen soll er sich um den denn machen?«
»So habe ich das nicht gemeint«, sagte ich. »Ich wollte sagen, daß Axel sich vermutlich große Mühe gibt, die Ehe zu erhalten, damit sein Sohn Mutter und Vater und ein geordnetes Familienleben hat.«
»Unsinn!« sagte Rolf Mauser. Er kaute sein Gebäck, wobei sich sein Mund wie im Zorn bewegte.
»Axel liebt den Jungen«, sagte ich. »Ich weiß noch, wie er ihm dieses Rennrad zusammengebaut hat.«
»Ich weiß, ich weiß. Der Junge hat einen Unfall gehabt. Irgendein Idiot in einem Porsche. Der Junge hat sich ein Bein gebrochen. Der Fahrer ist einfach weitergefahren. Wahrscheinlich hatte er ein paar Gläser zuviel getrunken. Axel hat sich selbst die Schuld gegeben. Ist das nicht blöd?«
»Ich weiß nicht«, sagte ich. Tatsächlich hätten sich natürlich die meisten Väter gleichermaßen schuldig gefühlt. Nur Dickhäuter wie der alte Rolf sahen dazu keinen Anlaß. Ich vermute, es war der Krieg. Ich erinnere mich gewisser Geschichten, die Rolf von den letzten Tagen des Kampfes um Berlin erzählte. Hauptmann Mauser war mit einem fliegenden Standgericht losgeschickt worden. Jeder, der sich nicht zufriedenstellend ausweisen konnte, wurde auf der Stelle standrechtlich erschossen. Die Leichen wurden dann aufgehängt mit Schildern, auf denen stand: »Ich bin von meinem Posten desertiert.« Axel hatte gesagt, er könne sich nicht vorstellen, daß sein Vater zu so etwas fähig gewesen wäre, aber ich sah Rolf in anderem Licht. Ich wußte, daß Rolf ein kaltblütiger Killer sein konnte, wenn er es für nötig hielt. Vielleicht fand zwischen uns eine Gedankenübertragung statt, wenn ja, erreichten ihn meine verzerrt, denn er sagte: »Wenn Axel beim Militär gedient hätte, hätte er wahrscheinlich einen besseren Sinn für Proportionen entwickelt.«
»Ist es das, was du beim Militär gelernt hast, Rolf?« Er runzelte die Stirn, und seine Augenbrauen sträubten sich, so daß er grimmig dreinsah. Ich erinnerte mich, als Kind vor solchen Grimassen Angst gehabt zu haben. »Träumst du manchmal, Bernd?«
»Reich zu sein oder ein Filmstar?« Ich wußte natürlich, was er meinte, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, mich über ihn lustig zu machen. Die Wahrheit zu sagen, ich wollte seine Träume nicht hören; ich wollte niemandes Träume hören. Ich hatte an meinen genug.
»Ich schlafe nicht gut in letzter Zeit. Ich bin zum Arzt gegangen. Der sagte, das sei altersbedingt. Blöder kleiner Trottel.« Er beugte sich vor. »Ich träume immer über meine Zeit beim Militär, Bernd. Ich erinnere mich an Sachen, an die ich seit Jahren nicht gedacht habe. Und in allen Einzelheiten. Ich erhielt das Kommando über eine Artilleriebatterie mit Eigenantrieb, als das Bataillon hinter der Front lag. Mein Batteriekommandeur erkrankte an irgendeinem Fieber, ich wußte nicht, daß man Fieber kriegen konnte mitten in einem russischen Winter, aber in Rußland habe ich eine Menge dazugelernt. Es war Weihnachten, und wir regenerierten uns in Krasnograd. Hast du je von Krasnograd gehört?«
»Kann mich nicht erinnern«, sagte ich.
»Ein gottverlassenes Nest am Arsch der Welt. Aber Bäume gab es da, eine Menge Bäume, wenn man bedachte, daß die Gegend schon seit einer Weile umkämpft war. Die Leute mochten die Bäume, erinnerten sie an die Heimat. Dicker Schnee und Wald: Mit ein wenig Vorstellungskraft sah es wirklich so aus wie daheim. Die Bauern waren natürlich dageblieben, sie blieben immer da. Russische Bauern würden lieber sterben als ihr Dorf verlassen, so waren sie alle. Ich konnte das nicht verstehen. Dann, als ich gerade bei meiner täglichen Erbsensuppe saß – dieser pulvrigen Pampe, aber der Koch hatte irgendwo ein paar steinalte Kartoffeln dazu
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