Gedrillt
gefallen. Ich fand ihn zwar auch charmant und freundlich und all das, aber ich hatte einen instinktiven Widerwillen gegen ihn.«
»Vielleicht machst du dir unnötig Sorgen.«
»Er war bei den Joppis heute abend.«
»Was?« Das überraschte mich, und ich wünschte, George hätte mir von ihm erzählt, als noch Gelegenheit für mich bestand, mir den Typ mal anzusehen.
»Bei den Joppis ist immer haufenweise von dem Dreck zu haben. Warst du oben?«
»Oben? Nein.«
»In einem der Zimmer da … So was gilt als todschick und sophisticated, weißt du.«
»Mir ist aufgefallen, daß da eine Stimmung … eine Art Hysterie zu spüren war.«
»Hysterie. Genau. Ich kann einfach nicht verstehen, wie Leute sich freiwillig das Blut mit Chemikalien vergiften. Weißt du, daß Tessa keine konservierten Nahrungsmittel ißt wegen der chemischen Zusätze? Und doch …«
»Das tut mir leid, George.«
»Deshalb wollte sie unbedingt dahin. Hast du nicht gemerkt, wie animiert sie plötzlich war?«
»Eigentlich nicht mehr als gewöhnlich. Sie ist doch immer ziemlich aufgekratzt, das weißt du doch, George.«
»Ein großer Bursche, graues welliges Haar und Brille.«
»Da haben einige so ausgesehen«, sagte ich.
»Dieser Bursche hat einen kleinen Kinnbart und keinen Schnurrbart. Merkwürdig aussehender Kunde.«
»Ich habe ihn nicht gesehen«, sagte ich wahrheitsgetreu. Die Beschreibung traf auf Mr. Bart Johnson zu, aber Bart Johnson war tot.
13
Als ich am Morgen nach der Party beim Fürsten Joppi die South Audley Street entlangging, begegnete mir Rolf Mauser. Rolf mochte ungefähr siebzig sein. Während des Krieges war er Hauptmann bei der Artillerie gewesen, und er brachte einem gern in Erinnerung, daß er damals mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet worden war. Er war ein skrupelloser alter Gauner, aber sehr angenehm im Umgang, und als er noch für meinen Vater arbeitete und – später – als Barkeeper in Lisls Hotel, steckte ich oft mit ihm zusammen. Rolf Mauser war es, der mir beibrachte, Schlösser mit dem Dietrich zu öffnen, und mir zeigte, wie man eine Karte versteckt, während man das Spiel mischt. Als Kind hatte ich ihn geradezu verehrt, und, obwohl ich längst gelernt hatte, ihn zu sehen, wie er war, habe ich doch einen Rest dieser kindlichen Ehrfurcht nie ganz abschütteln können. Obgleich ich nun Rolf als einen etwas angegrauten Spaßvogel zu schätzen wußte, blieb da immer noch etwas Grausames und Furchteinflößendes.
Ich staunte nicht schlecht, ihn hier in London zu treffen, denn ich hatte gehört, daß er sich in Ostberlin zur Ruhe gesetzt habe. »Du siehst gut aus, Rolf. Was machst du denn in London?« Er war ein großer Kerl und trug einen dieser schweren braunen Ledermäntel mit vielen Riemen und Knöpfen. In diesen war er so hineingepreßt, daß man fürchtete, er würde ihn jeden Moment sprengen. Gestützt wurde dieser Eindruck einer bevorstehenden Detonation noch von Rolfs geröteten Wangen und Nase.
»Bernd! Hallo! Na so was! Ich besuche hier Verwandte. Ein
Cousin von mir wohnt in Luton.«
»Wo lebst du eigentlich jetzt?« fragte ich.
Er neigte den Kopf und berührte seinen grünen Lodenhut,
als wolle er dessen zu engen Sitz lockern, doch konnte man die
Gebärde auch als Bitte um Nachsicht verstehen. »Ich bin immer noch im Osten. In meinem Alter, Bernd, sucht man Ruhe und Frieden. Und außerdem ist es da billig.«
»Immer noch in derselben Wohnung?« Er hatte mich einmal dort beherbergt. Seine Wohnung war groß und behaglich, aber etwas verwahrlost, Rolf selbst ziemlich ähnlich. »Prenzlauer Berg, ja. Fünfundfünfzig Mark im Monat! Ich zahle heute da noch die gleiche Miete wie vor fünfundzwanzig Jahren. Wo gibt es das im Westen?«
»Nirgends.«
Er senkte seine buschigen Augenbrauen und setzte rechtfertigend hinzu: »Natürlich gibt es manchmal Engpässe. Aber die Grundnahrungsmittel – Brot, Milch, Fleisch und Eier
– sind billig. Ebenso die Restaurants, öffentlichen Verkehrsmittel, Theater und Konzerte. Ich habe es sehr gut im Osten, Bernd. Mir fehlt nichts.« Es hörte sich an, als hätte er die kleine Rede auswendig gelernt.
»Und ein bißchen Geld reicht lange da drüben«, sagte ich. Sein Gesicht erstarrte. Mauser hatte für das Department gearbeitet und erhielt wahrscheinlich eine kleine Pension über Schneider, von Schild und Weber, der Westberliner Bank, die solche delikaten Transaktionen für das Department abzuwickeln pflegte. Altersrenten sind im Gegensatz zu den meisten anderen Sozialleistungen in
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