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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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Cafés, dessen Sachertorte wegen der außerordentlichen Qualität der Aprikosenfüllung derjenigen vorzuziehen war, die einem bei Sacher selbst serviert wurde. »Was soll ich bei diesem Treffen machen? Haben sie Ihnen das nicht wenigstens gesagt?«
    Er riß sich unwillig von seinen Torten los. »Sie haben gesagt, das würden Sie schon wissen.«
    »Ist es ein Russe?«
    »Ich sagte es doch, ich weiß es nicht. Das ist die Wahrheit.
    Ich weiß es nicht. Bald werden wir dort sein.« Er war enttäuscht, daß seine Thesen über Zuckerbäckerei so kühl aufgenommen worden waren. Zu irgendeiner anderen Zeit hätte mir seine Dissertation vielleicht Spaß gemacht, hätte ich ihn vielleicht sogar gern auf eine Kaffeeklatschtour durch die Stadt begleitet. Aber nicht heute.
    Die Wolken waren dunkel, und in dem trüben Licht sahen die fernen Berge unnatürlich groß aus. Alles war grau; der

    - 156 -
    Himmel war grau, die Berge waren grau, die Gebäude der Bauernhöfe waren grau, sogar der Schnee war grau. Wie ein schlechter Abzug von einem Schnappschuß: nirgends weder schwarz noch weiß. So wie jetzt das Leben in Osteuropa. Keine Ideale mehr. Der Kommunismus war verblaßt, aber Kapitalismus nicht zum Vorschein gekommen. Jeder wurstelte sich durch, duldete, aber glaubte nicht.
    Wir fuhren weiter und weiter, langsamer jetzt, da die Straße so schlecht war. Wir kamen zu einer Straßengabelung, wo zwei khakifarbene Lastwagen am Straßenrand standen. Drei Mann in Tarnjacken und mit Tarnnetzen bezogenen Stahlhelmen standen an der Ladeklappe des hinteren der beiden Fahrzeuge.
    Als wir näher kamen, konnte ich sehen, daß einer von ihnen ein Offizier war, die anderen beiden waren Unteroffiziere und trugen automatische Gewehre am Riemen über der Schulter.
    Sie drehten sich nach uns um, als wir vorbeifuhren. An dieser Gabelung bogen wir auf eine noch schlechtere Straße ab. Bald hielt der grüne Wagen an und ließ uns vorbeifahren. Als wir ihn überholten, starrten uns die Männer darin mit einer Neugier an, die solche Leute selten zeigen. Staiger schien das nicht zu ängstigen. Die Straße stieg, und wir rumpelten und ratterten über einen Pfad voller Schlaglöcher, wo Eiskristalle schlammige Pfützen überzogen. Auf den Feldern waren Inseln alten Schnees geschrumpft und entblößten den harten Boden.
    Am Himmel kreisten Vögel, die schon beschlossen, wo sie die Nacht verbringen würden. Überall lag noch Schnee. Am Rande dieses entlegenen und engen Fahrwegs gab es hohe Schneewehen, auf deren Oberfläche winzige Eisdiamanten funkelten, ohne die übliche Kohlenstaubschicht, die der Durchgangsverkehr zurückläßt.
    »Sie sind da«, sagte Staiger. »Sehen Sie die Reifenspuren?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Oder vielleicht war es auch die Entwanzungsmannschaft.«
    »Haben Sie was zu essen mit?« fragte ich.

    - 157 -
    »Ich dachte, wir würden Zeit haben, auf der österreichischen Seite zu halten. Ich hatte nicht erwartet, daß es so spät werden würde«, sagte er mit feierlichem Bedauern. Er nahm die Hand vom Steuer, um auf ein Gehöft zu zeigen, das vor uns lag.
    Erbaut in einer alten Zeit, als der Bauer mitunter die Rolle des Kriegers spielen mußte, stand dieses Gehöft in einer strategischen Position, von der aus man das ganze breite Tal hinter uns unter Feuer nehmen konnte. Aus der Gruppe von Gebäuden ragten zwei riesige Scheunen mit schneebedeckten Dächern hervor. Über einem Hoftor von eindrucksvoller Größe war das eingemeißelte Wappen absichtlich abgeschlagen worden, jedoch nicht restlos, so daß ein enthaupteter Löwe sich noch unsicher an einem halben Wappenschild festhielt. Im Windschatten des verfallenen Pförtnerhauses saßen zwei tschechoslowakische Verkehrspolizisten breitbeinig in den Sätteln ihrer Motorräder. Sie beobachteten uns, als wir vorbeifuhren.
    Jenseits des Tors führte eine lange Auffahrt an leicht dampfenden hölzernen Trögen und Schweineställen aus Wellblech vorüber zu einem Gebäude, das einst das Haupthaus des befestigten Guts gewesen sein mußte.
    Der Wagen schaffte es gerade durch das enge, niedrige Gewölbe, holperte über die mit Kopfsteinen gepflasterte Einfahrt zum geschlossenen Innenhof und hielt dort an der Hintertür eines Hauses, auf dessen Wänden die Blumenmuster einer volkstümlichen Dekoration noch schwach zu erkennen waren. Der Hof war groß, eine große landwirtschaftliche Maschine rostete in einem Winkel still vor sich hin, und ein paar Hühner, die die Ankunft unseres Wagens für

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