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Gedrillt

Gedrillt

Titel: Gedrillt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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grüne Wagen fuhr uns voraus, als wir den Kontrollpunkt passierten und den Grenzstreifen, wo man Bäume und Sträucher gerodet und Minen gelegt hatte. »Die werden bei uns bleiben.«
    »Wirklich?« sagte ich, als ob mich das freute. Wir folgten ihnen in die mährische Landschaft. Irgendwann bog der grüne Wagen von der nach Prag führenden Hauptstraße ab. Der Zustand der Nebenstraße war miserabel, und Staiger mußte den Vierradantrieb einsetzen, um folgen zu können. Dies ist eine seltsame und unheilvolle Gegend. Eine dunkle
    Hinterlassenschaft der Geschichte. Noch vor einer Generation waren einige dieser Grenzgebiete so wohlhabend wie das Landesinnere gewesen. Seit der Zeit des Heiligen Römischen Reiches lebte eine deutschsprechende Bevölkerung in diesen hübschen kleinen Städten mit von Bäumen gesäumten Straßen und barocken Häusern an großartigen Plätzen. Aber Adolf Hitler benützte diese »Volksdeutschen« als Vorwand, ihr Grenzgebiet seinem Dritten Reich einzuverleiben. Dies war das
    »ferne Land«, um dessentwillen der britische Premierminister –
    nachdem er das erste Gipfeltreffen der modernen Welt zustande gebracht hatte – nicht in den Krieg ziehen wollte.
    Hier erhielt das Wort »Protektorat« seine neue abwertende Bedeutung und wurde »München« ein Synonym für
    »bedingungslose Kapitulation«. Hier lebten die Bürger der tschechoslowakischen Republik, die Hakenkreuzfahnen schwenkten und die deutschen Invasoren in deren eigener Sprache willkommen hießen.
    Aber nach der Niederlage Hitlers vertrieb die stalinistische

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    Regierung in Prag rücksichtslos die dreieinhalb Millionen deutschsprechender Staatsbürger aus ihrer Heimat. Innerhalb weniger Stunden mußten sie von Haus und Hof und durften nur mitnehmen, was sie tragen konnten. Sie wanderten über die Grenze, um sich eine neue Heimat zu suchen. Die verlassenen Häuser wurden von autorisierten Beamten durchwühlt und auch von Plünderern. Es war mehr eine politische Geste als eine praktische Maßnahme, als schließlich Landstreicher und Zigeuner in diese Häuser einquartiert wurden. Jetzt sind selbst von diesen Bewohnern nur noch wenige da.
    Wir fuhren durch Dörfer, denen das ambivalente Verfahren der Behörden mit dieser alten »deutschen Gegend« anzusehen war. Ein Schritt vor, zwei zurück, stoßen und ziehen. Hier sah man das Hin und Her einer von ihrer eigenen historischen Perspektive belasteten schwerfälligen sozialistischen Bürokratie. Alte Gebäude waren halb abgerissen und neue halb gebaut. Schutthaufen lagen bis auf die Fahrbahn, und verlassene Rohbauten aus Hohlblockziegeln warteten auf Dächer und Fenster, die nie kommen würden.
    Wir holperten durch eine kleine Geisterstadt und störten ein schlummerndes Pack magerer Hunde, die sich wegschlichen, ohne auch nur zu bellen. Menschen waren nirgends zu sehen.
    Die Häuser am Hauptplatz – die königlichen »Maria-Theresiagelben« Stuckfassaden zu einem Ausschlag kreidiger Narben verfallen – waren mit Brettern vernagelt. Die Läden desgleichen.
    Ich drückte noch einmal den Heizungsknopf. »Zum letztenmal, Staiger. Wann haben Sie vor, mir zu erklären, was das alles soll?« In London hatte man mir gesagt, ich sollte tun, was immer er mir sagte. Ich tat dies, aber es machte mir keinen Spaß, im dunkeln gelassen zu werden.
    Er rutschte auf seinem Sitz, als würde ihm der Rücken steif.
    »Das kann ich nicht«, sagte er umgänglich, wie er es schon so viele Male gesagt hatte auf dieser endlosen und unbequemen

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    Reise. »Meine Anweisung ist, Sie an den Ort zu bringen, den wir besuchen müssen. Weiter nichts.«
    »Und wieder zurück?«
    Er lächelte. »Ja. Auch, Sie zurückzubringen. Um vier. Das ist alles, was ich weiß.« Bisher hatten sich die spärlichen Brocken Unterhaltung, die wir austauschten, auf Wiener Klatsch beschränkt, bei dem es meistens um Leute ging, die ich nur flüchtig oder gar nicht kannte. Schlimmer noch, ich hatte mir Staigers Beobachtungen über Wiener Konditoreiwaren, insbesondere Torten, anhören müssen. Er hatte mir eingehend erläutert, weshalb er die einschichtige Einfachheit der Linzer Torte jedem anderen Erzeugnis von Sacher vorzog. Er hatte mir des weiteren die verborgensten Geheimnisse von Demels delikater Haselnußtorte offenbart und mir erklärt, welche unter der reichen Auswahl von Torten gewannen, wenn man sie mit Schlagsahne genoß, und welchen diese Dekoration im Gegenteil schadete. Er gab mir sogar die Adresse eines kleinen

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