Gedrillt
Hause gehe, brauche ich keine Angst zu haben, überfallen oder ausgeraubt zu werden.«
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»Du hast es gut. Wohin wolltest du?«
»Ja, ich habe es gut«, bestätigte er, als traute er der Aufrichtigkeit meiner Erklärung nicht ganz. »Mit den jungen Leuten springen sie ja ganz schön um, aber alte Burschen wie ich können kommen und gehen, wie sie wollen. Ich brauche nicht über die Mauer zu klettern, Bernd.« Er grinste.
Wenn ich auch nur die geringste Ahnung von Rolf Mauser hatte – und ich glaubte, ihn ganz gut zu kennen –, war er nicht der Mann, sich jemals zu den Überzeugungen eines sozialistischen Regimes zu bekehren. Er war ein rebellischer Einzelgänger. Die Kommunisten haben wie die Nazis – und natürlich die Kirchen – Konvertiten zu ihrer Sache immer willkommen geheißen. Aber es fiel schwer, sich vorzustellen, daß Mauser sich »sozialistisches Staatsbewußtsein« aneignete, jene blinde Begeisterung für das Regime, die die DDR von ihren Bürgern erwartete. Mauser war Pragmatiker und ein egozentrischer obendrein. Vor langer Zeit hatte ich einmal meinen Vater sagen hören, Rolf Mauser sei genau der Typ des arroganten, streitsüchtigen Deutschen, der das Volk bei der ganzen zivilisierten Menschheit in Verruf gebracht hat. Ruhig hatte meine Mutter ihn gefragt, weshalb er diesen Mann dann noch weiter beschäftigte? Weil er Sachen zustande bringt, die andere nicht mal zu unternehmen wagen, erwiderte mein Vater.
»Wollen wir irgendwo eine Tasse Kaffee zusammen trinken?« schlug ich vor.
Ich vermutete, daß er knapp bei Kasse war – jedenfalls in harter Währung –, da gehören dann die gelegentlichen Tassen Kaffee zum ersten, worauf die Armen verzichten. »Gern, Bernd. Das ist das einzige, was ich nicht zu einem vernünftigen Preis kriege. Glücklicherweise schickt mir mein Sohn jeden Monat ein Paket. Ohne eine anständige Tasse Kaffee morgens kann ich nicht leben.«
In der Nähe gab es ein elegantes, kleines Kaffeehaus, und dorthin gingen wir eilenden Schritts. Unterwegs klagte Rolf
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ausführlich über das Wetter. »Es geht mir richtig in die Knochen«, sagte er, als wir uns setzten. Es war natürlich die Feuchtigkeit. Rolf meinte wie die meisten Berliner, daß das geringfügig wärmere englische Klima ihn nicht entschädige für den durchdringenden kalten Dunst, den die meisten Einheimischen nicht einmal bemerken.
Das Kaffeehaus war ein altmodisches Lokal, das ich gut kannte. Hierher ging ich mit Fiona Kaffee trinken, als wir noch in einem Büro in der Nähe arbeiteten. Das war vor unserer Hochzeit. Noch bevor wir einen Tisch gefunden hatten, bestellte ich eine große Kanne Kaffee. Das war die beste Methode, den Leuten hier Dampf zu machen.
»Wie geht es Axel? Ich hab’ ihn schon lange nicht mehr gesehen.« Mausers Sohn und ich waren Schulkameraden. Eine Zeitlang waren wir sogar eng befreundet gewesen. »Sie wohnen in einem hübschen Haus in Hermsdorf, aber die Ehe geht nicht allzu gut. Seit dem Tag, an dem sie diesen wunderbaren Job gekriegt hat und anfing, eine Menge Geld zu verdienen, hat seine Frau sich zu einem richtigen Ekel entwickelt.« Er zuckte die Achseln und streckte die Hand nach einer Apfeltasche aus.
»Das tut mir aber leid.«
»Arbeit, Arbeit, Arbeit. An nichts anderes kann sie mehr denken. Eine richtige Karriere-Frau«, sagte er verächtlich.
»Aber Axel läßt nichts auf sie kommen. Ich kann nicht verstehen, was er an ihr findet. Er braucht eine richtige Frau.«
Rolfs Klagen über seine Schwiegertochter waren mir seit Jahren vertraut. Wenn man ihn reden hörte, würde man nicht annehmen, daß diese Ehe nun schon seit ein paar Dekaden hielt und daß die beiden einen heranwachsenden Sohn hatten. »Axel war einer von den intelligentesten bei uns in der Schule«, sagte ich. Rolf hatte sich immer was darauf eingebildet, daß sein Sohn unentwegt als Klassenerster glänzte. Insbesondere genoß er es, meinem Vater zu erzählen, daß Axel wieder mal bessere
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Noten gekriegt hatte als ich.
Er riß die Verpackung von einem Zuckerwürfel. Alles, was er tat, tat er mit einer gewissen Wildheit, um nicht zu sagen Bösartigkeit. Begrüßungen, Verabschiedungen, selbst Danksagungen zeugten bei ihm von dieser ständigen Kampfbereitschaft. Ich fragte mich, ob er sich die Pose während des Krieges als junger Offizier angewöhnt hatte, um seine Autorität zu behaupten. Mit der Zeit mochte die Pose seine wahre Natur erstickt haben.
»Und jetzt arbeitet er als
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