Gefährlich nah
sehen. Ich will zu meinem Dad!«
Sie hatte den ganzen Weg bis nach Hause im Auto geweint. Hatte nicht damit gerechnet, dass ihr Dad da war. Denn das war es, was Unfälle bedeuteten. Dass Menschen nicht wiederkamen. Die Erleichterung, dass er doch da war, hatte ihre Tränen getrocknet, doch nur für einen Augenblick, bis sie den Gips an seinem linken Arm und die Schwellung um sein linkes Auge herum und die blauen Flecken auf seiner Wange bemerkte.
»Du hast gesagt, es wäre nicht so schlimm!«, hatte sie mit vorwurfsvollem Blick zu Lauren gesagt.
»Wir wollten einfach nicht, dass du dich so aufregst«, hatte Lauren gesagt und Dees Tränen weggewischt. »Darum wollten wir auch, dass ihr bei Nana bleibt, bis die blauen Flecken etwas verblasst sind. Und das werden sie. In ein paar Tagen. Es ist nicht so schlimm. Dein Dad wird wieder ganz gesund, wenn wir uns beide um ihn kümmern, ja?«
Dee hatte genickt. Sie fühlte sich ein bisschen seltsam, ein bisschen verwirrt. Nicht nur wegen ihrem Dad und dem Unfall und allem. Da war noch etwas. Etwas, das sie nicht ganz kapierte, bis sie sich zum Insbettgehen fertig machte. Es war das Haus. Es war nicht nur renoviert worden, es hatte sich komplett verändert.
»Minimalistisch« hatte Lauren es genannt, aber in Dees Augen sah es einfach nur kahl aus.
Alle Wände waren weiß gestrichen. Jede einzelne! Mums bestickte Kissen, ihre Vasen, ihre Dekorationen
waren alle verschwunden. Die Familienfotos, die im Flur und an der Treppe gehangen hatten, waren verschwunden, ebenso wie alle Fotoalben in den Regalen.
»Alles in Ordnung«, hatte Lauren gesagt. »Sie sind sicher. Ich hab sie alle in einer Kiste auf dem Dachboden. Wir hängen stattdessen ein paar schöne moderne Bilder auf. Du könntest mir beim Aussuchen helfen. Und warte nur, bis du das Zeug siehst, das wir für dein Zimmer besorgt haben.«
Das neue Zeug war, wie Lauren schon hatte ahnen lassen, fantastisch, aber der größte Schock war Kierans Zimmer gewesen.
»Wow!«, hatte er ausgerufen und die FC-Liverpool-Vorhänge, den Teppich und das Banner angestarrt, die er schon so lange hatte haben wollen.
Er war so damit beschäftigt, das riesige Banner zu bestaunen, das eine ganze Wand einnahm, dass er eine Weile brauchte, um zu bemerken, dass sein Bett nicht mehr da war und stattdessen ein Stockbett aus Kiefer dastand.
»Damit du und Scott beide hier schlafen könnt«, hatte Lauren erklärt.
»Warum?«, hatte Kieran gefragt. »Warum muss ich ihn in meinem Zimmer haben?«
»Komm mit und sieh’s dir an«, hatte Lauren gesagt und sie in das kleinste Zimmer hinten geführt, das zuvor Scott gehört hatte.
Sie riss die Tür auf und zeigte noch mehr weiße Wände, allerdings diesmal mit einer Bordüre von kleinen gelben Entchen darauf, die zu dem Muster auf den Vorhängen
passte. Von der Decke hingen farbige Mobiles und in der Ecke stand ein Babybett.
»Du kriegst ein Baby!«, hatte Dee gesagt.
»Noch nicht, aber wir hoffen darauf, nicht wahr, Peter?«, hatte Lauren gesagt und sich an Dads gesunden Arm geklammert.
Dee schüttelte den Kopf und versuchte, das Bild dieses Zimmers abzuschütteln. Des Zimmers, das immer leer geblieben war, weil Lauren nie schwanger wurde. Sie hatte sich geweigert, irgendwelche Tests machen zu lassen. Sie hasse Ärzte und Krankenhäuser, hatte sie gemeint. Sie ließ nicht einmal Dad gehen, als seine Schwindelanfälle und Magenprobleme anfingen, kurz nach dem Renovierungsunfall, was dann zu dem Megakrach mit Nana und Pops geführt hatte.
»Du musst mal gehen und dich durchchecken lassen, Peter«, hatte Nana gesagt. »Du siehst entsetzlich aus. Es könnte Diabetes sein oder der Blutdruck oder sonst was. Oder der Sturz hat irgendetwas verletzt oder ausgelöst.«
»Mir geht es gut«, hatte Dad gesagt. »Da ist nichts. Das ist nur der Stress bei der Arbeit.«
»Er arbeitet mal wieder zu viel«, hatte Lauren gesagt. »Ihr kennt doch Peter! Das wird schon wieder, wenn er die zusätzlichen Aufgaben abgibt und mal richtig Urlaub macht.«
Nana hatte den Fehler gemacht, dass sie immer weiter gedrängt und sogar Gran und Granddad kontaktiert hatte, um ihnen zu sagen, dass sie sich Sorgen machte. Und dann war Lauren richtig ausgeflippt.
»Das geht euch gar nichts mehr an!«, hatte sie Nana und Pops angeschrien. »Peter ist jetzt mit mir verheiratet, nicht mit eurer tollen Tochter!«
Der Streit war entsetzlich gewesen. Nana und Pops waren hinausgelaufen. Aber anschließend schien es ganz so, als
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