Gefährlich nah
recht! Sie war langweilig, immer in der Bibliothek, lernte immer, wenn sie nicht gerade ihren verrückten kleinen Bruder betüddelte oder um Hazel herumscharwenzelte und sie die ganze Zeit nach ihrer Mum fragte.
Komisch eigentlich. Dee fragte ständig nach der Familie von anderen, sagte aber kaum etwas über ihre eigene. Meistens war sie total still, fast als hätte sie was zu verbergen. Sie war jetzt schon seit sechs Wochen da und sie wussten kaum etwas über sie! Hübsch. Ja, sie war hübsch auf ihre Art, aber sie machte nicht gerade viel aus sich. Mittellange Haare, die sie die meiste Zeit hinter die Ohren schob, und sie schminkte sich kaum.
Bei näherer Betrachtung passten Sanjay und Dee vielleicht doch ganz gut zusammen. Sanjay machte sich auch nie die Mühe, sich mal einen anständigen Haarschnitt verpassen zu lassen. Er ließ immer noch seine Mutter drauflosschnippeln. Wie übel war das denn? Früher hatte sie Sanjay immer total cool und reif gefunden, bis sie Tom kennengelernt hatte. Jetzt kamen ihr alle ihre alten
Freunde kindisch vor. Oh Gott, Mittwochabend würde entsetzlich werden. Tom würde es ätzend finden. Aber da ging nun mal nichts dran vorbei. Auf keinen Fall konnte sie bei Hazels Geburtstag fehlen.
»Happy Birthday to you!«, sangen Sarahs und Hazels Eltern, während Lucy mit ihrem Löffel einen schrägen Rhythmus dazu schlug.
Hazel schnitt den Kuchen an, den Sarah mitgebracht hatte, und zerdrückte hastig ein kleines Stück in Lucys Schüsselchen, um sie von ihrem Löffelschlagen abzulenken. Mum ging es inzwischen nicht mehr so schlecht, aber zu viel Lärm und Aufruhr konnte sie noch nicht vertragen.
»Hoppla!«, sagte Mum, als Lucy gleich darauf gelben Brei auf Sarah spritzte. »Alles auf dein neues Top!«
Dad runzelte die Stirn bei dem Wort »neu«.
»Alles okay«, sagte Sarah. »Zweifünfzig im Secondhandladen.«
Secondhand anstatt Designerklamotten. Zweifünfzig statt zweihundertfünfzig! Hazel versuchte, kein allzu überraschtes Gesicht zu machen. Sarah schien die Sparpläne wirklich ernst zu nehmen, die sie sich vorgenommen hatte, als Mum ins Krankenhaus kam.
»Na, das muss ich doch, oder?«, hatte Sarah gesagt. »Jetzt wo wir auch an Lucy denken müssen.«
Lucy war aber nicht der einzige Grund. Der Hauptgrund, über den Sarah nicht sprechen wollte, war, dass sie ihrer Mutter jede unnötige Sorge ersparen wollte.
Nicht dass ihre Mutter übermäßig besorgt wirkte. Sie war absolut positiv gestimmt vor der Operation, nach der Operation und während der quälenden Wartezeit auf die Ergebnisse, die ihnen sagen würden, wie weit sich der Krebs schon ausgebreitet hatte. Sie war zutiefst davon überzeugt, dass alles erfolgreich verlaufen würde. Und das war es auch weitgehend. Die Ergebnisse waren gut gewesen, die Bestrahlung, der sich Mum nun unterziehen musste, war eine reine Vorsichtsmaßnahme, hatten die Ärzte ihnen erklärt.
Natürlich würde es regelmäßige Kontrollen geben und Mum war noch ein bisschen erschöpft und müde. Sie sollte es noch eine Weile langsam angehen lassen, deswegen hatte Hazel ihr eigentlich gar nicht die Mühe einer Geburtstagsfeier zumuten wollen, aber ihre Mutter hatte darauf bestanden, ein Mittagessen für die Familie zu machen, und Joe hatte ein chinesisches Essen für den Abend organisiert und außerdem mutig sein Haus für eine Übernachtungsparty zur Verfügung gestellt.
»Mach schon«, hatte ihre Mum sie gedrängt, als Hazel Joes Angebot erst einmal abgelehnt hatte. »Es wird dir guttun, mal richtig rauszukommen. Du kannst nicht immer hier zu Hause rumhängen und ständig nach mir sehen. Mir geht es gut, echt.«
Vielleicht hatte Mum recht. Es wäre schön, mal wegzukommen und zu versuchen, sich zu entspannen nach all dem Stress, und es war Ewigkeiten her, dass sie das letzte Mal eine anständige Party gemacht hatten. Ewigkeiten, dass Abbie mit dabei gewesen war, wenn es sich
nicht um Unterricht handelte. Selbst dann war Abbie immer irgendwie abwesend und abgelenkt gewesen. Sie verbrachte die meiste Zeit damit, Tom SMS zu schicken. Kaum einmal hatte sie sich nach Hazels Mum erkundigt und schien sich überhaupt kaum darum zu kümmern, wie Hazel sich fühlte - ganz im Gegensatz zu ihren anderen Freunden, die einfach toll gewesen waren.
»Manche Leute fühlen sich eben nicht wohl, wenn es um Krankheiten geht«, hatte Dee gesagt. »Vielleicht weiß Abbie einfach nicht, was sie sagen soll.«
»Und vielleicht verwandelt sie sich auch einfach nur
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