Gefährlich nah
in der Woche darauf den Supermarkt probieren.«
War da ein Anflug seines trockenen Humors, eine Ironie in seiner Stimme oder war das zu viel erwartet? Wahrscheinlich war es eher das übliche Muster: Optimismus und Zeichen des Fortschritts während der ersten paar Wochen der neuen Therapie, gefolgt von einem Rückfall. Dieses Muster war nichts Ungewöhnliches. Sie hatte
Fälle, die denen ihres Dad ähnlich waren, im Internet recherchiert. Sechzehn Jahre hatte ein armer Kerl gebraucht. Sechzehn Jahre und er war noch immer nicht ganz der Alte und konnte noch immer kein ganz normales Leben führen.
»Das ist ja toll«, sagte Dee und schob die deprimierenden Fallbeispiele, von denen sie gelesen hatte, beiseite.
Sie nahm zwei Becher mit Tee und trug sie an den Tisch.
»Und was ist mit dir?«, fragte Gran. »Hast du dich gut amüsiert?«
»Ja. Meistens. Es gab ein paar Dämpfer, wie zum Beispiel, dass Hazels beste Freundin nicht erschienen ist und dass ich meinen Geldbeutel vergessen habe. Das war soo peinlich. Alle haben am Ende des Essens das Geld auf den Tisch gelegt, und ich hab in meiner Tasche rumgekramt und nach einem Geldbeutel gesucht, der nicht da war! Glücklicherweise hatte Sanjay noch mehr Geld dabei.«
»Und bist du sicher, dass du ihn vergessen hast?«, fragte Gran besorgt. »Ich meine, hast du vielleicht deine Tasche irgendwo herumliegen lassen? Könnte jemand den Geldbeutel genommen haben?«
»Nein, die Tasche war über die Lehne von meinem Stuhl gehängt und ich saß eng an die Wand gedrückt. Ich nehme an, ich hab ihn auf meinem Bett oder in meiner Schultasche oder so vergessen.«
»Dann geh mal lieber und sieh nach«, sagte Gran.
Dee nahm ihren Tee mit hoch in ihr Zimmer, überprüfte das Bett, ihre Tasche, den Schminktisch, aber die Geldbörse
war nicht da. Hatte Gran vielleicht doch recht? Konnte sie jemand geklaut haben? Die Einzigen, die dafür nahe genug waren, waren Sanjay zu ihrer Linken und Sean zu ihrer Rechten, aber von den beiden hätte doch keiner ihre Tasche angefasst, oder? Sean kannte sie nicht wirklich gut. Er schien in Ordnung zu sein, ehrlich, unkompliziert - aber es war so leicht, sich total in Leuten zu täuschen.
Sie setzte sich auf die Bettkante, nachdem ihre Gedanken direkt von Sean zu Lauren gesprungen waren. Warum? Warum erinnerte sie alles, aber auch alles, was geschah, sofort an Lauren? Ein verschwundener Geldbeutel, Himmel noch mal! Wo lag denn da die Verbindung? Lauren war viel, aber sie war keine Diebin. Und warum war es so schwer, die Gedanken an Lauren wieder abzuschütteln, sobald sie einmal aufgetaucht waren? Schließlich nützte es ja nichts, darüber nachzudenken. Sie war es schon Millionen Male durchgegangen in dem Versuch herauszufinden, warum und wie es so schlimm hatte werden können, auf der Suche nach Anzeichen.
Anzeichen, die im Nachhinein natürlich mehr als offensichtlich waren. Dads geheimnisvolle Krankheiten, Laurens wachsende Frustration, dass sie nicht schwanger werden konnte. Aber selbst das war damals nicht klar gewesen. Okay, das Babyzimmer hatte sich nach und nach mit Babykleidung und Stofftieren gefüllt, aber das war keinem so schrecklich falsch erschienen. Spuren von Dads altem Leben, seiner ersten Ehe mit ihrer Mutter, wurden Schritt für Schritt ausgelöscht. Alte Familienvideos
verschwanden. Aber sie waren ja angeblich in Schachteln auf dem Dachboden. Zusammen mit all den Fotoalben und den gerahmten Fotos. Keiner machte sich die Mühe, das nachzuprüfen. Warum auch? Und als sie es schließlich merkten, war es zu spät. Sie waren alle irgendwo auf einer Mülldeponie. Selbst die Fotos auf dem Computer waren gelöscht worden. Aus Versehen, wie Lauren behauptete, als sie sie danach gefragt hatten. Vermutlich war es einem der Jungs passiert!
Lauren zeigte keinerlei Anzeichen einer Depression. Sie war immer gut gelaunt. Immer nett zu ihnen, beteuerte immer überschwänglich, wie sehr sie sie liebte. Ein bisschen zu erpicht darauf, sie in den Ferien auf Reisen mit der Schule oder zu verschiedenen Verwandten und Freunden zu schicken, aber das konnte man ja kaum als Grausamkeit bezeichnen. Nicht gerade das, was man unter dem Verhalten einer »bösen Stiefmutter« verstand.
»Euer Dad und ich haben gerne mal ein bisschen Zeit für uns, nicht wahr, Peter?«, sagte sie dann. »Es hilft uns, ein paar Dinge zu klären.«
Was genau es da zu klären gab, hatte Lauren nie gesagt. Und Dad hatte einfach nur genickt, immer darauf aus, sie
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