Gefährlich nah
»Warum ist sie so blöd? Das ist so untypisch für Abbie.«
Dee schüttelte den Kopf, die Enge in ihrem Hals machte es schwer zu sprechen.
»Das ist nicht blöd«, murmelte sie. »So was läuft schrittweise. Man verliebt sich in jemanden. Will ihn halten. Will ihm gefallen. Wird abhängig. Und das geht so weit, bis man kaum noch sieht, was eigentlich aus der Beziehung wird und aus dem eigenen Leben.«
Sie hielt inne, zum einen weil sie nicht mehr darüber sprechen wollte, und zum anderen weil Sanjay sie anstarrte.
»Hast du schon mal in so einer Beziehung gesteckt oder so?«, fragte er.
»Ich?«, sagte sie ein wenig zu hastig. »Nein.«
»Aber du weißt etwas darüber, über so was in der Art?«
»Schon«, sagte Dee. »Kann sein.«
»Könntest du dann mal mit ihr reden?«
»Was?«
»Mit Abbie! Nur mit ihr reden und versuchen, sie ein bisschen zur Vernunft zu bringen. Ich meine, ich kann das nicht, oder? Dann sagt sie nur wieder, ich wäre eifersüchtig auf Tom. Und auf Hazel hört sie in der letzten Zeit auch nicht mehr.«
»Na, dann wird sie erst recht nicht auf mich hören. Sie redet ja kaum mit mir, es sei denn, sie will was von mir.«
»Vielleicht doch«, sagte Sanjay. »Versuch’s doch einfach mal, ja? Wenn sich die Gelegenheit ergibt.«
War Sanjay ein wenig zu sehr an Abbie interessiert, ein wenig zu sehr dahinter her, dass sie Vernunft annahm
und Tom fallen ließ? Sodass er wieder mir ihr zusammenkommen konnte?
»Ich interessiere mich nicht mehr für Abbie, weißt du«, sagte Sanjay, so als würde er Dees Gedanken lesen. »Jedenfalls nicht so. Zuerst, glaube ich, schon«, fügte er hinzu, »als ich zuerst was mit dir gemacht habe. Aber jetzt nicht mehr. Ehrlich. Ich will nur nicht zusehen, wie sie ihr Leben total in den Sand setzt, das ist alles.«
Vielleicht würde Abbie ja nicht alles in den Sand setzen. Vielleicht würde sich alles beruhigen, wenn die Sache mit Tom nicht mehr so neu und aufregend war. Dee war nicht überzeugt, aber sie war sich ziemlich sicher, dass sie ohnehin nichts ausrichten konnte. Wie sie es vorhergesagt hatte, sprach Abbie kaum mit ihr und schaute sie auch kaum an, und die ganze Woche über ergab sich keine Gelegenheit, bei der sich ein vertrauliches kleines Gespräch hätte anfangen lassen - bis zum späten Freitagnachmittag. Dee war in der Bibliothek, die sie, wie immer am Freitagnachmittag, ganz für sich alleine hatte, bis Abbie hereinplatzte und einen Stapel Ordner und Papiere auf den Tisch warf. Eine Kopie von Abbies Stundenplan flatterte auf den Fußboden und Dee hob sie auf.
»Das soll ich mir unterschreiben lassen«, sagte Abbie. »Von der bescheuerten Bibliothekarin. Alle Freistunden soll ich hier drin verbringen, hat Mrs Felby gesagt! Bis ich meine Arbeit fertig habe. Ich meine, ich hab ja schon was gemacht. Aber ist das etwa gut genug? Nein! Sie will noch fünf Sachen bis Montag. Wie soll ich das bloß
schaffen?«, fügte sie nach einem Blick auf die Uhr hinzu. »Es bleiben ja nur noch zwanzig Minuten.«
»Du könntest einen Teil übers Wochenende machen«, schlug Dee vor. »Bestimmt bist du nicht die ganze Zeit mit Tom zusammen.«
»Die meiste Zeit schon«, sagte Abbie. »Wenn er Dienst hat, gehe ich ins Hotel und helfe ein bisschen, dann können wir mehr zusammen sein.«
Sie setzte sich, streckte die Beine aus, schob die Arbeit weit von sich und legte die Arme über die Lehne des Stuhles.
»Also, das kann sie sich sonst wohin stecken«, verkündete Abbie. »Ich tu das nicht. Ich hör auf, so wie Tom gesagt hat. Und zwar gleich! Ich komme nächste Woche nicht wieder.«
Dee sah sich um. Die Bibliothekarin saß an ihrem Tisch und ignorierte Abbies Ausbruch.
»Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist?«, fragte Dee.
»Die beste, die ich heute hatte!«
»Und ist es auch das, was du wirklich willst? Nicht nur das, was Tom sagt?«
»Ach, jetzt fang du nicht auch noch an«, blaffte Abbie. »Was ist eigentlich los mit allen? Ich bin glücklicher, als ich je zuvor war - oder jedenfalls wäre ich es, wenn man mich endlich mal in Ruhe lassen würde. Aber, oh nein! Alle wollen es mir nur verleiden.«
»Ich glaube kaum, dass sie das wollen«, sagte Dee. »Ich glaube, sie machen sich Sorgen um dich, das ist alles.
Ich meine, du kennst ihn doch noch gar nicht so lange, oder?«
»Lange genug.«
»Aber wenn du jetzt die Schule schmeißt und alle deine Freunde sitzen lässt und wenn es dann nichts wird mit euch?«
»Pah! Du klingst schon genau wie Mrs
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