Gefährlich nah
Felby: ›Man sollte nie alles auf ein Pferd setzen - blabla.‹«
»Ein bisschen klischeehaft«, sagte Dee lächelnd. »Aber der Rat ist gar nicht so schlecht.«
»Das ist ein mehr als besch…eidener Rat«, sagte Abbie mit einem Seitenblick auf die Bibliothekarin. »Es wird was mit Tom und mir, aber nicht wenn ich jeden Abend zu Hause festsitze, weil ich meine blöden Hausaufgaben machen muss. Tom will, dass ich Vollzeit im Hotel arbeite. Und bei ihm wohne.«
»Da hast du’s schon wieder«, sagte Dee.
»Was?«
»Tom will, Tom sagt.«
»Na und?«
Es gab eine Million Antworten und eine Million Beispiele, wohin das führen konnte.
Lauren sagt, wir brauchen noch mal Urlaub. Lauren meint, wir sollten ein größeres Auto kaufen. Lauren will nicht, dass wir Nana und Pops noch einmal besuchen. Lauren findet, dass Ärzte Zeitverschwendung sind.
Aber wollte sie Abbie irgendetwas davon erzählen? Würde Abbie ihr überhaupt glauben und würde sie die Parallelen zu Tom erkennen?
»Was passiert eigentlich, wenn du mal nicht einer Meinung bist mit Tom wegen irgendetwas?«, fragte Dee langsam.
»Keine Ahnung«, sagte Abbie. »Wir sind uns eigentlich immer einig.«
»Aber wenn es nicht so wäre«, bohrte Dee weiter. »Wenn es etwas gäbe, das dir wichtig ist. Was dann?«
»Woher zum Teufel soll ich denn das wissen!«, sagte Abbie, stand auf, ging hinaus und ließ ihre Unterlagen auf dem Tisch liegen. Die Bibliothekarin schüttelte den Kopf.
Abbie kümmerte sich nicht darum, ob es schon geläutet hatte. Sie marschierte einfach los und wollte nur so weit wie möglich von der Schule wegkommen. Sobald das Gebäude außer Sichtweite war, rief sie Tom an, damit er sie abholte. Wenn er sie fuhr, war gerade noch genügend Zeit, zu Hause vorbeizuschauen, sich ein paar Klamotten für das Wochenende zu schnappen und wieder zu verschwinden, bevor ihre Eltern von der Arbeit nach Hause kamen und versuchten, sie daran zu hindern.
Die neuen Schuhe, die Tom ihr gekauft hatte, taten ihr weh und drückten an den Zehen, aber sie ging immer weiter, weil es so kalt war und Tom mindestens zwanzig Minuten brauchen würde, um in die Stadt zu kommen. Typisch, dass das Wetter umgeschlagen war, genau an dem Tag, als sie sich die Haare hatte schneiden lassen. Jetzt blies ihr der Wind um den bloßen Hals und in die Ohren, sodass sie brannten und schmerzten.
Die Haare hatten einen kleinen Streit ausgelöst. Sie hatte sie nicht wirklich abschneiden wollen, aber das hatte sie Dee nicht erzählt - vor allem weil Tom natürlich recht gehabt hatte. Die kurzen Haare standen ihr gut. Alles war gut.
Sie schlug den Kragen ihrer Jacke hoch. Jedenfalls war es keine große Sache gewesen, Tom bei den Haaren nachzugeben, oder? Sie konnte immer noch ihre Meinung vertreten, wenn es wirklich darauf ankam. Zum Beispiel hatte sie die Drogen nicht genommen, oder? Obwohl Tom gesagt hatte, dass es in Ordnung wäre, dass sie dann wenigstens nicht mehr die ganze Zeit so »verdammt steif« sein würde. Okay, sie hatte dann ein bisschen Dope geraucht. Aber das taten schließlich alle, oder? Na ja, alle außer ihren superbraven Schulfreunden. Und sie hatte auch das andere Zeug schon ein paar Mal probiert. Aber meistens überließ sie das nur Tom und seinen Freunden. Obwohl sie sich dann schon ausgeschlossen fühlte, ein bisschen fehl am Platz und müde, wenn der Rest der Gruppe erst richtig in Fahrt kam.
Deswegen machte Tom es ja. Damit er so lange arbeiten und trotzdem noch »das Leben genießen« konnte, wie er es ausdrückte. Es war nicht so, dass er abhängig war oder so. Es ging nur um den Spaß, und er konnte es sich leisten, nur das Beste zu kaufen, dann war es auch nicht gefährlich, sagte er. Vielleicht würde er es nicht mehr so viel machen, wenn sie erst mal mit im Hotel arbeitete und wohnte. Dann würde er auch weniger Zeit mit Paige und Leo verbringen. Aber war sie wirklich
schon bereit zu diesem Schritt? Wenn es nach ihren Eltern ging, auf keinen Fall.
»Niemals«, hatte Dad gebrüllt, als sie vor einigen Tagen einmal etwas in der Art erwähnt hatte. »Niemals hörst du mit der Schule auf, um als so ein blödes Zimmermädchen zu arbeiten! Und du wirst ganz sicher nicht dort wohnen.«
Mum hatte sich etwas mehr zurückgehalten, und nichts gesagt, bis sie eine Stunde später oder so an ihre Zimmertür geklopft hatte. Sie war herumgestanden, während Abbie sich fertig machte, und hatte versucht, sich ganz locker und freundlich mit ihr zu unterhalten,
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