Gefährlich nah
zu, wie der Rest der Schule nach und nach klassenweise hereinkam. Scott mit gesenktem Kopf, er bemerkte sie gar nicht, aber Kieran blieb stehen und zwinkerte ihr zu. Es war komisch. Es schien fast, als wäre er froh, dass es zu ihrem Streit gekommen war, als gefiele es ihm, dass durch Scotts Ausbruch alle nach oben gerannt waren. Er hatte sich hingesetzt und den Großeltern alles erzählt oder zumindest seine Version von allem und sah dabei entspannt und erleichtert aus, so als wäre die negative Aufmerksamkeit besser als gar keine Aufmerksamkeit.
Am folgenden Tag hatte Granddad mit Kieran zusammen einen Plan aufgestellt, wie er das Geld von seinem Taschengeld zurückzahlen konnte, und neue Regeln, wohin er gehen durfte, und wann. Ob das funktionieren würde, war eine andere Frage. Sie hatte Kieran schon öfter voller guter Vorsätze erlebt, aber wenigstens war es jetzt nicht mehr ihr Problem. Oder zumindest war sie nicht mehr damit allein.
Eine gewisse Unruhe machte sie darauf aufmerksam, dass der Pfarrer eingetroffen war. Alle standen auf und schlugen die Liederblätter auf. Der Gottesdienst war glücklicherweise nicht ganz so langweilig, wie Dee erwartet hatte. Der Pfarrer war ziemlich jung, witzig, und das Singen der Weihnachtslieder brachte alle in die richtige Stimmung, sodass schließlich alle bester Laune im Gemeinschaftsraum ankamen, Jingle Bells trällerten und sich mehr wie Siebtklässler benahmen anstatt wie Oberstufenschüler, bis sie Tasha kreischen hörten.
»Meine Fresse, Abbie! Was ist denn mit dir passiert?«
Dee drängelte sich in den Gemeinschaftsraum. Was war es denn dieses Mal? War Abbie jetzt blond? Hatte sie sich die Brust vergrößern oder das Gesicht liften lassen? Oder hatte sie auf einmal eine neue Nase, die Toms Geschmack mehr entsprach? Dee hörte Abbie, bevor sie sie überhaupt sah.
»Na ja, Tom und ich hatten neulich Abend einen kleinen Streit.«
Erstaunte Ausrufe und Murmeln kamen von den Zuhörern, dann sah Dee den Grund. Abbies Gesicht war
seitlich in der Nähe des Auges verfärbt und geschwollen, ein dunkellila Bluterguss mit gelben Streifen. Dee lehnte sich an einen Stuhl, ihr wurde plötzlich übel. Wie konnte Abbie so locker damit umgehen? Fast schon damit angeben, als wäre es eine Art Trophäe!
»Jedenfalls«, sagte sie gerade, »hat es ihm hinterher total, total leidgetan.«
Als wäre dadurch wieder alles in Ordnung! Dee schaute zu Sanjay hinüber, der die Fäuste geballt hatte, und sie wusste, wäre Tom im Zimmer gewesen, dann wäre Sanjay jetzt auf ihn losgegangen.
»Er ist also mit mir nach Manchester zum Shoppen gefahren«, sagte Abbie und zog Dee wieder in die Unterhaltung. »Und da sind wir in so einen megateuren Laden gegangen. Voll klein mit Spiegeln überall und traumhaften Klamotten. Ganz ohne richtige Preise, sodass ich mir schon voll die Sorgen gemacht hab, aber Tom meinte, ich sollte mir aussuchen, was mir gefällt.«
Was war wohl der gängige Preis für ein blaues Auge, fragte sich Dee, während ihr die Übelkeit vom Magen in die Kehle hinaufstieg. Zweihundert? Zweitausend?
»Und dann probier ich also dieses geniale Kleid an, ja?«, fuhr Abbie fort. »Aber dann komme ich nicht aus der verdammten Umkleidekabine raus. Die Tür klemmt. Ich meine, so ein teurer Laden und dann haben sie noch nicht mal anständige Türen an den Umkleidekabinen. Ich dachte also erst, dass ich was falsch mache, und schubse fest dagegen, und dann fliegt sie plötzlich auf und ich gleich hinterher quer durch den Laden und voll seitlich in
einen Kleiderständer mit solcher Wucht, dass ich dachte, mir fliegt gleich das Auge raus!«
Dee ließ sich auf einen Stuhl sinken. Also doch keine Gewalt. Das blaue Auge hatte nichts mit Tom und dem Streit zu tun. Es war später passiert, in dem Laden. Es war ein Unfall.
»Ich muss sogar ohnmächtig geworden sein«, sagte Abbie strahlend, sie genoss die allgemeine Aufmerksamkeit. »Weil ich mich erst wieder daran erinnern kann, dass ich auf einem Stuhl sitze und Tom meinen Kopf wäscht. Das Wasser tropft überall auf das Kleid, das außerdem zerrissen ist, und das ist mir voll peinlich. Aber sobald Tom sieht, dass ich okay bin, wird er total sauer und sagt denen, dass er sie verklagen wird, weil sie so eine kaputte Tür haben und weil der Kleiderständer im Weg gestanden hat.«
»Was für ein toller Hecht«, hörte Dee Sanjay murmeln.
»Und da war die Besitzerin natürlich voll nervös und so und hat ihn angebettelt, dass er sie nicht
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