Gefährlich nah
wie bei einer Zwangsjacke, aber sie war nicht schnell genug. Hazels scharfes Luftholen zeigte Dee, dass sie es gesehen hatte. Die Narben auf seinen Armen waren ja auch kaum zu übersehen. Aber da waren noch mehr. Und es war schlimmer, schlimmer als selbst Dee es sich vorgestellt hatte.
Sie führte Scott, dessen ganzer Körper angespannt und starr war, zu Sanjays Wagen hinüber. Die Jungs waren bereits da und versuchten, nicht auf die kleinen Abschnitte von Scotts Brust und Bauch zu schauen, die noch immer unbedeckt waren. Sie versuchten, nicht das Gewirr der prall geschwollenen, verunstalteten Haut mit dem
unnatürlichen Weiß der langsam verheilenden Narben zu sehen.
Dee setzte sich mit Scott auf den Rücksitz und merkte noch, dass Hazel etwas sagte, bevor Sanjay die Tür zumachte. Sie merkte, wie Hazel und Joe draußen standen und fragend und verwirrt hinter ihnen herschauten, als sie wegfuhren. Sanjay sagte nichts, gar nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Sie würde es ihnen natürlich erzählen müssen. Irgendwann. Irgendwann bald. Es ging nicht, dass sie es sich zusammenreimen mussten aus den lückenhaften und übertriebenen Gerüchten, die nach und nach die Runde machen würden. Übertrieben? Wie konnte man so etwas noch übertreiben? Wie hätte man es noch schlimmer machen können, als es ohnehin schon war? Ganz automatisch legte sie den Arm noch fester um Scott, der mittlerweile vor sich hinschluchzte. Die tiefen, keuchenden Laute aus seiner Kehle zeigten ihr, dass er es wieder einmal in Gedanken durchlebte. Wie er an jenem Neujahrsmorgen vor zwei Jahren früher nach Hause gekommen war …
Sie waren alle irgendwohin geschickt worden zu Silvester, damit Lauren und Dad Zeit für sich hatten, für ihr romantisches Abendessen in irgendeinem schicken Restaurant. Kieran musste nirgendwo hingeschickt werden, da er bereits mit der Familie seines Freundes Billy in Italien beim Skifahren war. Lauren hatte zögernd zugestimmt, dass Dee zu Nana und Pops fuhr. Aber Scott - Scott war in derselben Straße nur fünf Häuser weiter und blieb über Nacht bei einem seiner Schulfreunde. Nur war
sein Freund in der Nacht krank geworden. Zu viel zu essen auf der Party und zu viel Aufregung vielleicht. Jedenfalls hatte er alles vollgespuckt.
»Sein Zimmer hat gestunken«, hatte Scott ihnen später, viel später erzählt. »Und er hat auch am Morgen immer noch gekotzt, und deswegen hab ich beschlossen, nach Hause zu gehen.«
Aber was Scott nicht wusste, was er gar nicht wissen konnte, war, dass Dad und Lauren gar nicht im Bett gewesen waren; dass ihr gemeinsamer Abend eine totale Katastrophe gewesen war. Dass sie in dem Restaurant zufällig alte Freunde von Dad getroffen hatten. Drei Paare. Eine der Frauen war sichtbar schwanger. Dass sie auf einen Drink mit zu der schwangeren Frau nach Hause gegangen waren. Lauren amüsierte sich, trank aber kräftig.
»Ich muss ja nicht fahren, nicht wahr«, hatte sie gesagt. »Und ich bin auch ganz sicher nicht schwanger. Da brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, was, Peter?«
Vorboten. Und dann hatte Lauren gemerkt, dass eine zweite der Damen ebenfalls nichts trank.
»Und Sie fahren vermutlich?«, hatte sie gefragt.
Dann war zögernd die Antwort gekommen. Dee hatte sie natürlich nicht gehört, nicht aus erster Hand jedenfalls, aber sie konnte sich die Szene bis ins kleinste Detail ausmalen.
»Na ja, eigentlich nicht. Ich erwarte auch ein Kind. Bin aber erst im zweiten Monat und hab’s noch kaum jemandem erzählt. Sie sind sogar die Erste - abgesehen von der Familie.«
Auch da war Lauren noch nicht ausgerastet. Das war nicht ihre Art. Sie hatte sich noch etwas eingeschenkt und der Frau alles Gute gewünscht.
»Ist das nicht wunderbar? Gleich zwei gute Neuigkeiten! Oder sind Sie etwa auch schwanger?«, hatte sie die dritte Frau gefragt.
»Ich hoffe nicht«, hatte die erwidert und an ihrem Wein genippt. »Die Zwillinge sind erst zehn Monate alt und noch eins wäre mir jetzt echt zu viel. Ihr zwei wisst ja noch gar nicht, worauf ihr euch da einlasst!«, hatte sie gescherzt und damit den Anstoß zu einem abendfüllenden Gespräch über Babys gegeben.
Jedes Wort hatte sich in Laurens Gedächtnis eingegraben, sodass sie es später in ihrem Wutausbruch wieder ausspucken und Dad beschimpfen und ihn schlagen konnte, als sie in den frühen Morgenstunden nach Hause gekommen waren. Einem Wutausbruch, der noch immer tobte, als Scott zu Hause ankam. Er hatte gleich gemerkt, dass etwas
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