Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
und Vorhang. „Was siehst du denn?“
„ Pssst“, zischt Mama.
Ich verstehe nicht, warum ich meine Klappe halten soll. Wer auch immer da drüben etwas anstellt, kann mich nicht hören. „Also, ich sehe ein Haus, sechs Stockwerke hoch. Hinter keinem der Fenster brennt Licht. Sogar die Laternen zwischen Erdgeschoss und erster Etage sind aus.“
„ Aha“, murmelt Mutter.
„Was gibt es da zu ahahen?“
„Es gibt einen Grund dafür, dass die Straßenbeleuchtung aus ist. Sogar die Beleuchtung von unserem Hotel ist aus.“
„Mutter, was ist los? Warum belauerst du dieses Haus? Wir sollten schlafen, denn sonst rennen wir morgen mit dicken Augen durch die Stadt. Und dann macht das alles keinen Spaß.“
„Dann halten wir eben Siesta.“ Mein Handy macht Klick.
„Was fotogra…?“
„ Na, siehst du es auch?“
Ich kann Mutters Grinsen, das aus ihrer Stimme klingt, förmlich vor mir sehen. Wobei mich wundert, dass ich das noch bemerke, angesichts der unglaublichen Geschehnisse im Haus gegenüber.
Mir stockt der Atem.
Gegenüber klettert ein vom Scheitel bis zur Sohle schwarz gekleideter Mann an der Regenrinne hoch. In der Dunkelheit verschmilzt er beinahe mit der Wand. Darum ist er mir zuerst nicht aufgefallen. Im vierten Stock stoppt er. Wenn er sich nicht bewegt, sieht man ihn fast gar nicht. Clément, der Blindfisch, würde ihn garantiert nicht erkennen. Plötzlich hält der Mann eine Art Haken in der Hand und schlägt ihn in die Wange des Fensters, das sich ungefähr zwei Meter von dem Regenrohr entfernt befindet. Er muss sich ziemlich strecken. Aber dann lässt er das Rohr los und springt auf das Fenstersims. Himmelherrgott.
„Klettert Spiderman da rum, seit wir hier im Zimmer sind?“, keuche ich, als wäre ich selbst eine Wand hochgekrabbelt.
„ Pssst“, macht Mutter nur.
Der Schwarzgekleidete hockt auf dem Fenstersims. Dann richtet er sich auf. Er ist sehr groß und sehr schlank, viel größer und viel schlanker als Clé, der in zwanzig Jahren bestimmt so rund sein wird wie sein Vater.
„Was macht Spiderman da?“ Ich kann meine Klappe einfach nicht halten. Wenn ich aufgeregt bin, muss ich reden. Wie früher meine Oma. Das habe ich von ihr. Damit haben Oma und ich meine ruhebedürftige Mutter gemeinsam in den Wahnsinn getrieben. Dafür hängt sie jetzt zwischen den Vorhängen eines Hotels und fotografiert einen Einbrecher mit meinem Handy und treibt mich in den Wahnsinn.
„Siehst du das?“, schnappatme ich. Aber natürlich sieht Mutter, dass der Typ gegenüber seinen Rucksack auf das Fenstersims stellt und einen kleinen Gegenstand rauszieht. Als er dieses Ding gegen die Fensterscheibe presst, sieht es aus wie ein kleiner, schwarzer Kasten, wie eine winzige Dose oder wie der Schlüssel von Mamas Jeep. Plötzlich fährt das Ding von selbst im Kreis. Als es stoppt, nimmt der Typ es wieder von der Scheibe weg und im Fenster ist ein Loch. Da greift er durch. Anscheinend kann er das Fenster trotzdem nicht öffnen, denn er holt noch einen Gegenstand aus seinem Rucksack, den er durch das Loch in der Scheibe führt. Kurz darauf öffnet sich der Fensterflügel nach innen und der Mann springt in das Zimmer.
„Da bricht einer ein“, ich fühle wie das Blut durch meine Adern jagt, mir die Aufregung den Schweiß in die Stirn treibt und meine Stimme zittern lässt, „wir müssen die Polizei rufen.“
Doch meine Mutter hat anscheinend nicht vor, die Polizei zu rufen. Munter schießt sie ein Foto nach dem anderen. Will sie die der Polizei per E-Mail zuschicken? Oder auf der Facebook-Seite der Polizei posten? Drüben erkenne ich nun gar nichts mehr. Ich kann kaum noch das Loch in der Scheibe ausmachen. Der Typ hat das Fenster geschlossen und den Vorhang zugezogen. „Mutter, gib mir mein Handy! Ich rufe die Polizei.“
„Das brauchst du nicht“, zischt sie.
„Wieso nicht? Hast du schon …?“
„Verdammt, Jade, du redest in einer Tour. Warte doch mal ab, was geschieht.“
„Mutter, du machst mir Angst. Man könnte fast auf die Idee kommen, dass du was mit dem Bruch da drüben zu tun hast! Kennst du den Einbrecher? Das ist doch nicht etwa dein guter Bekannter ?“
„ Deine Phantasie schlägt Kapriolen.“
Meine Phantasie schlägt Kapriolen? Kapriolen? Was ist denn das für eine Ausdrucksweise? „Dann verstehe ich nicht, warum du dich sträubst, die Polizei zu rufen. Ich kapiere überhaupt nicht, wieso du etwas von dem Einbruch bemerken konntest. Hast du nicht geschlafen, Mama? Wovon
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