Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
Auf der Prachtstraße herrscht reger Betrieb. Touristen und Einheimische unterscheiden sich lediglich an der Kleidung und am Gehtempo. Während die Touris in wetterfesten Jacken und flachen Schuhen schlendern, haben die Pariser trotz feinstem Zwirn den Turbo eingeschaltet, so wie Mama und ich. Nur ich in Turnschuhen, aber darüber bin ich gerade sehr froh, denn Mama rast in einem Affenzahn über die Champs-Elysées. So hatte ich mir das eigentlich nicht vorgestellt, aber ich habe keine Ahnung, wie ich meine Mutter bremsen soll.
„ Wann hast du mir deinen guten Bekannten eigentlich vorgestellt?“, rufe ich. Ich befinde mich ein wenig hinter meiner Mutter und kann mich nicht erinnern, dass sie mir diesen Robert je ausdrücklich vorgestellt hat.
Freundlicherweise dreht Mutter ihren Kopf leicht zur Seite, sodass ich ihr Profil sehe und sie wenigstens hören kann. „Ach, Kind, das ist doch schon Jahre her. Robert Dilles heißt er. Das musst du doch wissen.“
Ich krame in meinem Gedächtnis, finde aber nichts. Stattdessen drängt sich in mir immer mehr der Verdacht auf, dass Mama auf High Heels statt in Joggingschuhen auf dem Laufband trainiert, das in ihrem Arbeitszimmer steht, gleich neben dem Schreibtisch.
„Sicher habe ich dir seinen Namen genannt , Jade. Er kennt deinen doch auch.“ Sie hat den Blick wieder stur nach vorn gerichtet. Das Tempo, das sie vorlegt, ist mehr als beachtlich. Bei mir kündigt sich bereits Seitenstechen an.
„In welcher Beziehung stehst du überhaupt zu ihm?“ , keuche ich.
„Wer? Ich?“
„Nein, Mama, die Frau, die hinter dir herrennt.“
Meine Mutter kann die Pest sein. Wenn sie nichts sagen will, dann stellt sie sich dumm oder erfindet eine Story, die sie Notlüge nennt. Ich zupfe an ihrem Cape, da es das einzige ist, was ich von ihr erreiche, um das Tempo ein wenig zu drosseln. Sie schlägt nach meiner Hand. „Er ist ein guter Bekannter “, sagt sie mit einem drohenden Unterton in der Stimme.
„Alles klar “, gebe ich zurück, als wir bei Louis Vuitton vorbeikommen, wo die Leute Schlange stehen, um eingelassen zu werden. Aus genau diesem Grund mag ich den Laden nicht. Man sollte sich nicht an einem Geschäft anstellen und von Türstehern begutachten lassen müssen, um dort sein Geld abgeben zu dürfen.
„Robert ist also dein geheimer Liebhaber und ihr zwei Turteltäubchen seid gerade hinter einer tollen Story her.“
Bei aller Liebe, aber die Zeiten, in denen Mama mich allein durch einen Blick oder ein Drohen in der Stimme stumm stellen konnte, sind vorbei. Allerdings könnte sie mich zu Tode hetzen. „Mama, lauf mal ein paar Stundenkilometer langsamer!“
Das Unerwartete geschieht: Mutter bleibt stehen. Allerdings an einem Zebrastreifen. „Robert ist verheiratet. Hier müssen wir rüber.“
Wir überqueren die sechs- bis zehnspurige Straße, obwohl nicht ein einziges Auto für uns hält. Mir bricht der Schweiß aus. Alle Autofahrer scheinen gleichzeitig zu hupen. Für mich ist es immer wieder ein Wunder, dass man bei dieser Art, eine Straße zu überqueren, überleben kann.
Halbwegs lebendig auf der anderen Straßenseite angelangt, betreten wir Paul . Wenn ich mit Mutter in Paris bin, nehmen wir unser Frühstück immer in einer der Filialen der Boulangerie-Kette zu uns. Die Atmosphäre ist ungezwungen, das Gebäck lecker und der Café gut. Man bekommt sogar frische Smoothies und Salat und warme Leckereien zum Sattwerden, und zwar zu halbwegs zivilen Preisen, was in Paris alles andere als üblich ist. Die Einheimischen haben sicher ihre Tricks, die Mama und ich aber nicht kennen. Wir kennen nur Paul.
Drinnen ist ein Zweier-Tisch frei, auf den Mama sich sofort stürzt. Wir könnten draußen sitzen, denn dort sind genügend Plätze frei und dort stehen Heizstrahler, aber Mama will sich lieber in den kleinen Laden quetschen. Mit Schwung wirft sie ihr Cape über einen der beiden freien Stühle, auf den anderen soll ich mich setzen. Sie nickt mir hektisch zu. Ich weiß schon: Es könnte uns jemand zuvorkommen und uns den mickrigen Bistro-Tisch vor der Nase wegschnappen.
Ich mache es mir in dem tannengrün bezogenen Regiestuhl bequem, soweit man bei solchen Stühlen von Bequemlichkeit sprechen kann, und sehe zu, wie ein halbes Dutzend Verkäuferinnen in braunen Kittelschürzen die Schlange an der rechtwinkligen Theke abfertigen. Aber das ist mir immer noch lieber, als in einem der überkandidelten Cafés auf der anderen Straßenseite von unfreundlichen
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