Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
nicht.
„Okay“ , ich lege das Handy an mein anderes Ohr. Um mich herum ist es unfassbar laut. „Richte deinem Boss aus, dass ich übermorgen wieder zu Hause bin, dass mein Akku gleich leer ist und dass ich das Ladegerät zu Hause vergessen habe. Und mach‘ dir nicht so viel Stress mit dem Laden, Hélène. Ciao.“
Ich habe meine Schuldigkeit getan, jetzt muss Clément auf mich warten. Schließlich war er es, der mich gestern Abend verlassen hat. Das fiese, nagende Gefühl aufkeimender Eifersucht unterdrücke ich erfolgreich, indem ich an die Augen von Commissaire Carreras denke. Sofort rauscht mir ein aufgeregter Schauder über den Rücken. Ich schalte mein Handy aus und gehe zurück in die Boulangerie, wo Mutters und Roberts Köpfe hinter einer frischen Ausgabe der Le Monde hervorgucken. Die Beiden hören sofort auf zu tuscheln, als sie mich entdecken.
Mit ein paar S chritten stehe ich hinter ihnen und gucke direkt auf das übergroße Foto einer Szene, die mir seit der vergangenen Nacht im Kopf herumspukt: Spiderman steht auf dem Fenstersims und sieht mir genau in die Augen.
Diese r Blick. Wenn ich Spiderman auf der Straße begegnete, würde ich ihn vermutlich allein an den Augen erkennen. Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendetwas liegt darin, das mich nervös macht. So ähnlich wie der bohrende Blick des Kommissars und doch ganz anders. Blöderweise kann man wegen der schwarzen Bankräubergesichtsverhüllung noch nicht einmal die Augenform richtig erkennen. Aber allein der Blick genügt, um mein Herz rasen zu lassen.
„Darf ich?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, grapsche ich die Zeitung und setze mich damit auf meinen durchgesessenen Regiestuhl. Mama sieht mich zwar böse an, aber ich denke, sie kann jetzt nicht von mir erwarten, dass ich seelenruhig an dem Allergie erregenden Bananensmoothie nuckele, während in der Zeitung die neuesten Nachrichten über das Geschehen der vergangenen Nacht stehen. Die Buchstaben verschwimmen fast vor meinen Augen, als ich den Artikel lese.
Le Monde, 6. Dezember 2013
Mona Lisa aus Wohnung eines Scheichs geraubt?
Die mysteriöse Geschichte um die Mona Lisa geht weiter. Ein Unbekannter brach in der vergangenen Nacht in eine Luxuswohnung an der Rue Galilée ein. Bezeichnenderweise gehört die Immobilie einem aus Kuwait stammenden Scheich.
Um drei Uhr morgens ging in der Rue Galilée die Straßenbeleuchtung aus. Wenige Minuten darauf kletterte gegenüber des Hotels Sérène ein Unbekannter am Fallrohr hoch. Im vierten Stock stieg er durch ein Fenster in die Wohnung ein.
Der Mann ist groß, schlank und sportlich. Er war komplett mit schwarzem Leder bekleidet. Wie auf dem Foto zu erkennen, trug er eine Kopfbedeckung mit Schlitzen an Augen und Mund. Wegen der Kleidung ist anzunehmen, dass er Motorradfahrer ist.
Nur wenige Minuten nach dem Einbruch verließ der Spinnenmann die Wohnung. Er hatte lediglich den Rucksack bei sich, den er bereits beim Einstieg in die Wohnung trug. Was er darin transportierte, ist zur Zeit noch ein Geheimnis.
Inzwischen liegt die Stellungnahme des Louvre zu den gestrigen Vorwürfen vor.
„Die Mona Lisa “, so René Martin, Pressesprecher des Louvre, „befindet sich im alleinigen Besitz des Museums. Es handelt sich dabei nachweislich um das Original. Selbstverständlich würde der Louvre niemals ein Gemälde von solcher Bedeutung vermieten.“
Es bleibt abzuwarten, wie sich die Geschichte entwickelt. Inzwischen hat uns ein weiterer Hinweis erreicht, dem die Redaktion selbstverständlich nachgeht.
R.D.
Ich falte die raschelnde Zeitung zusammen. Den Artikel hätte ich selbst schreiben können. Den Inhalt kannte ich, bevor die Le Monde gedruckt wurde, abgesehen von dem Namen unseres Hotels und den Initialen des Reporters. Ich sehe Mama und diesen Robert Dilles eindringlich an, was die beiden nicht weiter zu beeindrucken scheint, da sie in aller Seelenruhe nach ihren Cafés greifen. Aber davon lasse ich mich nicht aus dem Konzept bringen und verkünde mit fester Stimme: „Groß-R-Punkt-D-Punkt – das sind Sie, äh, das bist du.“
Für den Bruchteil einer Sekunde sieht Groß-R-Punkt-D-Punkt sich in der Boulangerie um. Dann gibt er mit gesenkter Stimme zu: „Ich bin Reporter beim Le Monde. Von irgendwas muss ich schließlich leben.“ Über sein speckiges, stoppeliges Gesicht huscht ein schüchternes Lächeln.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, dass meine schöne Mama und dieser bierbäuchige Ehemann, der mich entfernt
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