Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
Güte“ , stöhnt Mama, als sie das Regal mit den gefühlten drei Millionen Lidschatten entdeckt. „Sind Frauen wirklich so verrückt. Diese Farben braucht doch kein Mensch.“
Keine drei Minuten später sitzt meine Mutter auf einem Stuhl an einem der Stände, an denen man sich ein filmreifes Make-up verpassen lassen kann, und erklärt der Kosmetikerin, wie sie ihre Arbeit zu erledigen hat. Es ist wirklich kaum zu fassen, dass diese Frau zu Hause kaum die Zähne auseinander kriegt. Seit sie unser Haus verlassen hat, hat sie mehr geredet als im gesamten vergangenen Jahr.
I ch frage eine der sehr hübschen, aber nicht unangenehm aufgedonnerten Verkäuferinnen, ob es den Lidschatten in Jadegrün gibt.
„Aber selbstverständlich, Madame. Wir haben ALLE Farben, Madame. Bitte sehr, Madame. Es ist IHRE Farbe, Madame.“
Ich lege das Döschen sofort in das Körbchen, das mir die Verkäuferin in die Hand drückt. Anschließend lasse ich mir eine ionisierende Haarbürste für zwanzig Euro andrehen. Der Preis ist der helle Wahnsinn, aber angeblich bekommt man von der Luxusbürste hochglänzendes Haar, was mich zutiefst beeindruckt. Aber auch so bin ich hin und weg von der unfassbar riesigen Auswahl. Jadegrüner Lidschatten landet auf meinen Augen, jadegrüne Wimperntusche, nur den passenden Kajalstift kann ich nicht finden. Darum bestäube ich erstmal meine Wangen mit leicht glitzerndem, aprikotfarbenem Puder. Als ich teste, ob nach dem dritten Parfüm, das mehr als 100 Euro kostet, wirklich alle Düfte gleich riechen, taucht Mama mit einem Gesicht neben mir auf, dass mir die Spucke wegbleibt. Die Kosmetikerin hat ganze Arbeit geleistet. Meine Mutter sieht sowieso schon zehn Jahre jünger aus als sie ist. Jetzt sind daraus zwanzig Jahre geworden.
„Ich sehe phantastisch aus, nicht wahr?“, freut sie sich. Dazu klimpert sie mit künstlich verlängerten Wimpern. „Ich hätte nie gedacht, dass mir ein Lidstrich steht, aber dieser Schwalbenschwanz ist unglaublich.“
Ich nicke noch beeindruckt, als Mutter schon wieder abrupt das Thema wechselt und mich auffordert, in den Spiegel zu schauen, obwohl ich doch gerade erst an ihrem Gesicht klebe. Sie selbst hat ihre unglaubliche Verschönerung vermutlich schon wieder vergessen, denn ihre Eitelkeit hält sich, ebenso wie meine eigene, in Grenzen. Natürlich sind wir eitel, aber immer nur für den Moment. Die meiste Zeit denken wir nicht daran, dass wir auch ein Äußeres haben, was sich in zusammengeknüllten Haaren, gepunkteten Teddyanzügen und ähnlichen Modesünden äußert. Oma meinte, wir sollten abwarten, was aus unserer Eitelkeit würde, wenn der Lack erst ab wäre. Dann würden wir unsere knackigen Apfelpopos jedenfalls nicht mehr in gemütliche Plüschhosen stecken.
„ Sieh unauffällig hinter dich“, Mutter reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie mir ausgerechnet auf den Hintern schlägt, „auf fünf Uhr. Sag’ mir, was du siehst.“
Ich sehe erst meine Mutter giftig an, dann gucke ich in den Spiegel, damit sie endlich Ruhe gibt. Dabei tue ich so, als würde ich mir eine ausgefallene Wimper aus dem Auge fischen. Dann sage ich, mit so wenig Lippenbewegungen wie möglich: „Ich sehe Abdeckstifte und Menschen.“
„Was für Menschen?“
„Soll das ein Quiz werden , Mutter?“
„Was für Menschen?“ , wiederholt sie ungerührt.
„Frauen, junge Frauen.“ Wenn ich weiter so an meinem Auge herumfummele, habe ich mir gleich wirklich eine Wimper ausgerissen.
„Und was noch? Stichwort Mann.“
Ich atme tief ein und wieder aus. Alles klar. Außer zahlreichen Frauen, befindet sich ein einzelner Mann in dem Laden. „Meinst du den schlaksigen Typen mit den zurückgegelten Haaren und der Sonnenbrille?“
„Nicht hinsehen“, zischt Mutter. Sie hakt sich bei mir unter und zieht mich mit sich an einen Stand, in dem Milliarden von Kajalstiften in Plexiglasbehältern stecken. Na, die habe ich doch vorhin gesucht. Zielsicher grapsche ich mir den Jadegrünen. Seit heute erkenne ich diese Farbe blind.
„ Der Typ hat sich umgedreht“, lenkt Mama meine Aufmerksamkeit von meinem neuesten Fund ab. „Pass‘ auf, wenn wir gehen, dreht er sich wieder um.“
„Gefällt er dir, Mama?“ Ich hebe eine Augenbraue.
„Er sieht besser aus als alles, was in Monthomé und Umgebung herumspringt. Aber das meine ich nicht.“
Diesen Wink mit dem Zaunpfahl habe ich sehr wohl verstanden.
„Willst du behaupten, dass er uns verfolgt?“, frage ich, ohne die Augenbraue zu
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