Gefaehrlich verliebt in Mona Lisa 1
gezerrt hat.
Mit zielgerichteten Schritten tritt sie vor das Schaufenster, das von innen bis auf Schulterhöhe mit einem cremeweißen Samtvorhang behängt ist. Sie sucht den Gehweg nach meinem angeblichen Verfolger ab.
„ Probier‘ die Schuhe besser selbst an“, zischt sie mir zu. Die sich nähernde Verkäuferin, die aussieht wie Mireille Matthieu, wimmelt sie mit einer Handbewegung und einem Lächeln ab, das einem Zähnefletschen zum Verwechseln ähnelt.
„ Bonjour“, lächele ich die Frau, die in etwa so groß ist wie ein zehnjähriges Kind, versöhnlich an. „Die blauen Stiefeletten aus dem Schaufenster würde ich gern anprobieren. In Größe 39.“
„Sehr wohl.“ Weg ist die kleine Mireille. Flink wie ein Wiesel. Und dann steht sie auch schon wieder vor mir. „Bitte sehr.“
Ich liebe es, wenn Verkäuferinnen nur das Nötigste reden und mir nicht auch noch erzählen, wie wunderbar meine Wahl ist, wenn ich mich bereits zum Kauf entschlossen habe. Das heißt, ich hoffe, dass Mama, wie vor unserer Abreise angedeutet, zahlt, denn ich kann mir keine Schuhe für 429 Euro erlauben. Mit zusammengebissenen Zähnen schlüpfe ich in die in jeder Hinsicht sündhaften Stiefeletten.
„Ich gehe darin wie auf Wolken“ , behaupte ich vollmundig. Auf jeden Fall nehme ich an, dass es so sein wird, wenn die Blasen unter den Pflastern auf meinen Füßen abgeheilt sind.
Der Mireille-Matthieu-Verschnitt lächelt verschwörerisch.
„Er ist wieder da“, tönt Mama von ihrem Aussichtsposten. Geduckt kommt sie zu mir. Ihr anerkennender Blick trifft die Stiefeletten an meinen Füßen. „Die sehen wirklich toll aus. Haben Sie davon noch ein Paar?“ , fragt sie.
Bedauernd schüttelt Mireille den Pagenkopf. „Leider nicht in Größe 39.“
„Mit Socken geht auch 40“, entscheidet Mama und die Verkäuferin entschwindet. „Meine Stiefel habe ich auch in 40 gekauft. Vielleicht solltest du mit deinen ramponierten Füßen die Vierziger nehmen, Jade.“
Da ist sie wieder, meine Mama. Das Allerschlimmste an dieser Nummer ist, dass sie höchstwahrscheinlich sogar recht hat.
Mit einer flinken Bewegung zieht sie sich die Stiefel von den Beinen. Ich reiche ihr Größe 39. Sie sieht traumhaft darin aus.
Mireille gibt mir die Vierziger. Sie passen perfekt.
„ 700 für beide.“ Mama drückt Madame Matthieu die Stiefeletten in die Arme und rückt ab zur Kasse. Auf dem Weg dahin zieht sie sich im Laufen die Stiefel an.
„D as kann ich nicht machen“, sagt die Verkäuferin zuckersüß.
„ Das ist aber schade“, murmelt Mama. „Dann wird nichts aus unserem Geschäft.“
Mir fällt die Kinnlade runter. Inzwischen stecke ich wieder in meinen Joggingschuhen und wage einen Blick über den cremeweißen Vorhang hinaus auf die Straße. Ich kann den Schlaks mit der Sonnenbrille nicht entdecken. Ich glaube, Mama spinnt. Ich geselle mich zu ihr an die Kasse, in der Hoffnung, dass mir genügend Argumente dafür einfallen, dass diese Schuhe trotz des horrenden Preises im Grunde ein Schnäppchen sind.
„Ich habe genau dieselben Schuhe im Internet gesehen“, behauptet meine Mutter. „Dort kosten sie weniger als 350 das Paar. Geben Sie sich einen Ruck, Madame. Ich weiß, dass sie mit dem Preis runtergehen können, sonst würden sie nicht in diesem Laden arbeiten.“
„ 799“, zwitschert Mireille und setzt dazu einen pikierten Gesichtsausdruck auf.
Mutter greift in ihren Shopper und zählt 750 Euro in 50-Euro-Scheinen ab, die sie wie einen Fächer auf das Biedermeiertischchen legt, auf dem die altmodische, schwarze Registrierkasse steht.
„Dann müssen Sie die Ausstellungsstücke nehmen , Madame. Die aus dem Fenster.“
„Her damit“, rufe ich, bevor Mama es sich anders überlegt.
„Das sind aber die Kleineren“, warnt Mireille und greift in die Auslage. „38.“
Mutter verdreht die Augen. „ Ich nehme sie. Eigentlich habe ich Größe 38. Ich kaufe meine Schuhe nur meist eine Nummer größer, damit ich sie mit dicken Socken anziehen kann. Ich friere nämlich sehr leicht, aber bei diesen Schuhen kann ich eine Ausnahme machen. Ich glaube nicht, dass ich darin Thermosocken tragen werde.“
Nachdem wir den Laden verlassen haben, falle ich meiner Mutter um den Hals. „Danke, danke, danke!“ In Momenten wie diesem bin ich so unendlich dankbar, dass Mama eine erfolgreiche Schriftstellerin ist.
„Schon gut“, wehrt sie ab, doch ihrem Gesichtsausdruck sehe ich an, wie sehr sie sich über meine Dankbarkeit freut.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher