Gefährliche Begierde
Zufahrtsstraße ein und holperte an den alten Namensschildern und den Cottages der Familien vorbei, mit deren Kindern er früher einmal gespielt hatte. Gute und schlechte Erinnerungen – sie kehrten alle wieder, während er diese Straße entlang fuhr. Er erinnerte sich daran, so lange auf einem alten Reifen geschaukelt zu haben, bis er sich übergeben musste. Und wie er Lucy Baylor mit ihren Zahnlücken hinter dem Wasserturm geküsst hatte. Hörte noch einmal das schreckliche Geräusch einer zersplitternden Fensterscheibe und wusste, dass es sein Baseball war, den sie zwischen den Scherben fanden. Die Erinnerungen waren so lebendig, dass er nicht bemerkt hatte, dass er die letzte Kurve bereits genommen hatte und dabei war, auf den Kiesweg einzubiegen.
Vor dem Cottage parkte ein Auto.
Er stellte seinen Wagen daneben ab und stieg aus. Keine Spur von dem Fahrer des anderen Wagens. War der Einbrecher so verzweifelt, dass er bereits am hellichten Tag hierher kam?
Chase eilte die Verandastufen hinauf und hörte verblüfft einen Kessel in der Küche pfeifen. Wer zum Teufel würde so dreist sein, nicht nur einzubrechen, sondern es sich auch noch gemütlich zu machen? Er drückte die Tür auf und stand der Schuldigen von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
»Ich habe gerade einen Tee gemacht«, sagte Miranda. Sie schenkte ihm ein angespanntes Lächeln. Nicht unfreundlich, sondern einfach nervös. Vielleicht auch ängstlich. Sie zeigte mit dem Kinn auf die Teekanne in ihren Händen. »Möchtest du auch welchen?«
Chase blickte sich im Zimmer um, sah die ordentlich aufgetürmten Bücherstapel auf dem Boden. Der Schreibtisch war aufgeräumt, und der Inhalt der Schubladen in eine Reihe von Kartons geleert worden. Langsam wanderte sein Blick auf die drei Bücherregale. Eines davon war bereits zu zwei Dritteln geleert.
»Wir haben den Morgen damit verbracht, Richards Papiere durchzusehen«, erklärte Miranda. »Ich fürchte, wir haben noch nichts entdeckt, aber …«
Er schüttelte den Kopf. »Wir?«
»Miss St. John und ich.«
»Ist sie hier?«
»Sie ist zu ihrem Haus zurückgegangen, um Ozzie zu füttern.«
Ihre Blicke trafen sich. Ich versuche, mich von dir fern zu halten, dachte er, und verdammt noch einmal, jetzt bist du hier. Wir sind hier alleine in diesem Haus. Er durfte sich nicht ausmalen, was das bedeuten konnte. Die Spannung, Feind der Vernunft, vollführte einen Teufelstanz. Er dachte an Richard, dachte an sie, dachte an sie beide zusammen. Es tat weh. Und genau deshalb hielt er die Bilder fest. Um das wachsende Bedürfnis nach ihr zu zügeln, das er spürte, wenn er sie nun ansah.
»Sie, Miss St. John, dachte, es sei sinnvoll, schon ohne dich anzufangen«, sagte Miranda rasch, als sei es ihr wichtig, keine Stille aufkommen zu lassen. »Wir wussten nicht, wann du kommen würdest, und wir wollten nicht bei dir zu Hause anrufen. Ich vermute, wir haben uns irgendwie in fremde Angelegenheiten gemischt, aber …« Ihre Stimme brach ab.
»Formal gesehen habt ihr das«, sagte er nach einer Pause. Sie stellte die Teekanne ab und richtete sich auf, um ihn anzusehen. Ihre Nervosität war kühler Entschlossenheit gewichen. »Vielleicht, aber wir müssen es tun. Wir können zusammen suchen. Oder wir suchen getrennt, aber ich werde suchen.« Sie hob ihr Kinn und begegnete seinem Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. »Also, Chase, wie wollen wir es machen?«
9. KAPITEL
Sein Blick war neutral und so nichtssagend wie die weiße Wand hinter ihm. Sie hatte gehofft, in seinen Augen wenigstens einen Funken Freude darüber zu entdecken, dass er sie heute hier traf. Doch diese … Gleichgültigkeit hatte sie nicht erwartet. Also, so ist das mit uns, dachte sie. Was ist geschehen, seit wir uns das letzte Mal sahen? Was hat Evelyn dir erzählt? Das ist es doch, oder? Sie haben dich eingewickelt. Richards Familie. Deine Familie.
Er zuckte mit den Achseln. »Es ist vermutlich sinnvoll, zusammenzuarbeiten.«
»Natürlich ist es das.«
»Und du hast ja bereits damit begonnen.«
Sie schenkte sich eine Tasse Tee ein und trug sie zum Bücherschrank hinüber. Dort setzte sie ihre bereits begonnene Arbeit ruhig fort, nahm Bücher aus dem Regal, blätterte durch die Seiten auf der Suche nach losen Zetteln. Sie fühlte, wie er sie beobachtete und spürte, wie seine Blicke in ihrem Rücken prickelten. »Du kannst mit dem anderen Regal anfangen«, sagte sie, ohne ihn dabei anzusehen.
»Was hast du bis jetzt gefunden? ist darunter auch
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