Gefährliche Begierde
Seite stehst du?«
»Du weißt verdammt gut, dass ich auf deiner Seite bin. Da war ich immer.«
»Also, warum stärkst du mir dann nicht den Rücken?«
»Weil dieser Ton nicht zu dir passt. Du hast wohl alles vergessen, was ich dir über Würde beigebracht habe. Stolz.«
»Meine Güte, vergib mir, Papa. Aber es kommt nicht jeden Tag vor, dass einem der Ehemann ermordet wird.« Sie blickte auf das Sideboard. »Wo ist denn der Wein? Es ist doch nicht zu früh für einen Schluck?«
»Du wirst schon über den Mord hinwegkommen. Du wirst ihn hinter dir lassen und dann wirst du dich daran erinnern, wer du bist.«
»Wer ich bin?« Sie erhob sich. »Wer ich bin wird von Tag zu Tag immer peinlicher.« Sie schob ihren Stuhl an den Tisch und verließ das Zimmer.
Stille erfüllte den Raum.
»Da hat sie Recht, Chase«, sagte Noah ruhig. »Die Familie sollte zusammenhalten. Egal, welche Reize diese Miranda Wood zu bieten hat. Glaubst du nicht, es ist besser, wenn du zu uns hältst?«
Chase begegnete Noahs Blick mit einer Gleichgültigkeit, die er in diesem Moment nicht unbedingt empfand. Er hatte eine Menge Gefühle, was Miranda Wood anbelangte, und Gleichgültigkeit gehörte wahrlich nicht dazu. Er hatte die ganze Nacht von ihr geträumt, war dann schweißgebadet aufgewacht, weil er sich an das Feuer erinnert hatte und erneut in Panik darüber geraten war, er könnte sie im Rauch und in den Flammen nicht finden. Danach schlief er wieder ein, nur um wieder in demselben Albtraum zu versinken. Irgendwann zwischen unruhigem Husten und Wälzen kam er zu verschiedenen Schlüssen. Zum Beispiel, dass er bei Miranda Wood keines vernünftigen Gedankens fähig war, und dass die Anziehung, die sie auf ihn ausstrahlte, jeden Tag gefährlicher wurde.
Und dass, egal, was sein Instinkt ihm sagte, die Beweislage immer noch gegen sie sprach.
An diesem Morgen war er zwar zerschlagen, aber mit absolut klarem Kopf aufgestanden. Er wusste, was er zu tun hatte. Er musste Abstand zwischen sich und Miranda bringen. So wie er es von Anfang an hätte tun sollen.
»Sie müssen sich keine Sorgen machen, Noah. Ich habe nicht vor, sie noch einmal zu sehen.«
»Ich dachte immer, dass du der schlauere Tremain bist«, sagte Noah, »und ich hatte Recht.«
Chase zuckte mit den Achseln. »Das ist ein nicht gerade schmeichelhafter Kommentar, vor allem, wenn man bedenkt, wie wenig Sie von Richard hielten.«
Noah sah die Zwillinge an. »Ihr beide! Habt ihr nichts Besseres zu tun?«
»Eigentlich nicht«, sagte Phillip.
»Na, dann räumt den Tisch ab. Kommt schon.«
»Es ist nicht so, als ob wir es nicht gewusst hätten«, erklärte Cassie.
Noah betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. »Was gewusst?«
»Dass du und Papa nicht gut miteinander zurechtgekommen seid.«
»Was das anbelangt, junge Dame, ist dein Vater mit dir ebenfalls nicht zurechtgekommen.«
»Normale Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter. Nicht wie bei euch, ihr habt euch ja beinahe bekriegt. Immer nur Geschrei und Beschimpfungen …«
»Genug!« Noahs Gesicht hatte eine hässliche rote Farbe angenommen. Er erhob sich halb aus seinem Stuhl, seinen Blick auf die unverschämte Enkelin gerichtet. »Am Tag, als du geboren wurdest, Cassandra, habe ich dich genau angeschaut und gesagt: ›Passt auf die auf. Die wird Ärger machen.‹«
»Ja, das liegt in der Familie, oder nicht?«
Sofort war Phillip auf den Beinen und packte Noah am Arm.
»Komm Großvater. Lass uns rausgehen. Du und ich. Eine Runde um den Block. Ich wollte dir von meinem Jahr in Harvard berichten …«
Noah schob seinen Stuhl an den Tisch. »Dann lass uns gehen. Himmel, ich kann ein bisschen frische Luft gebrauchen.« Die beiden Männer gingen. Dann fiel die Haustür hinter ihnen zu.
Cassie sah Chase an und lächelte ironisch. »Eine große glückliche Familie.«
»Was hast du gesagt? Über Noah und Richard.«
»Sie verachteten sich gegenseitig. Das wusstest du.«
»Verachtet ist nicht das Wort, an das ich dachte. Sie konnten sich vielleicht nicht leiden. Du weißt, die übliche Rivalität zwischen Vater und Schwiegersohn.«
»Das war nicht einfach eine übliche Rivalität.« Cassie begann, ihren Schinken in kleine Stücke zu zerschneiden. Chase fiel auf, dass er seine Nichte zum ersten Mal richtig wahrnahm. Vorher schien sie immer außerhalb seines Blickfeldes gewesen zu sein, die farblose Schwester im Schatten ihres Bruders. Nun betrachtete er sie genauer und mit anderen Augen. Er sah eine junge Frau mit
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