Gefährliche Begierde
Wange. Der leichte Windhauch, der durch die Tür zog, als sie sich hinter ihr schloss, war die einzige Warnung, die sie erhielt.
Miranda drehte sich um.
Der Eindringling stand im Türrahmen. Ihr Haar war eine Masse vom Wind zerzauster Locken, und ihr Gesicht zeigte keine Regung.
»Annie«, sagte Miranda leise.
Annie erwiderte nichts, nur ihr Blick heftete sich ruhig auf die Schreibmaschine in Mirandas Armen.
»Ich dachte, du bist bei Irving«, sagte Miranda.
Annies Blick wanderte nach oben, bis er Mirandas traf. Traurigkeit erfüllte ihre Augen, die einen Schmerz verrieten, der direkt aus ihrer Seele zu quellen schien. Warum habe ich es vorher nie bemerkt? dachte Miranda.
»Es gibt keinen Irving«, sagte Annie. Miranda schüttelte verwirrt den Kopf.
»Es gab nie einen Irving. Ich habe ihn erfunden. Genau wie die Verabredungen und Abende mit ihm. Weißt du, ich fuhr in den Hafen hinunter, parkte dort und blieb einfach sitzen. Manchmal stundenlang.« Annie holte tief Luft und erschauderte, bevor sie ausatmete. »Ich konnte das Mitleid nicht ertragen, Miranda. Diese ganze Sympathie für diese alte Jungfer.«
»Ich dachte nie, dass …«
»Natürlich dachtest du das. Ihr alle. Und dann war da auch noch Richard. Ich wollte ihm nicht die Genugtuung gönnen, zu wissen, dass …« Ihre Stimme brach. Sie wischte sich mit der Hand über die Augen.
Langsam setzte Miranda die Schreibmaschine auf der Bank ab. »Was sollte Richard nicht wissen, Annie?« fragte sie sanft. »Wie sehr er dich verletzt hat? Wie einsam du in Wirklichkeit warst?«
Ein Zittern lief durch Annies Körper.
»Er hat uns beiden wehgetan«, sagte Miranda. »Jeder Frau, die er je anfasste. Jeder Frau, die ihn je geliebt hat. Er hat uns alle verletzt.«
»Nicht so, wie er mich verletzt hat!« schrie Annie. Das Echo ihres Schmerzes schien endlos von diesen spröden Wänden widerzuhallen. »Fünf Jahre meines Lebens, Miranda. Ich schenkte ihm fünf Jahre. Fünf Jahre der Heimlichtuerei. Ich war zweiundvierzig, als wir uns kennen lernten. Ich hoffte und wartete auf seine Entscheidung, Evelyn zu verlassen.« Sie wischte sich erneut über die Augen. Mascara verschmierte ihre Wange. »Jetzt ist es zu spät für mich. Es war meine letzte Chance, die er mir genommen hat. Er hat sie mir gestohlen. Und dann hat er Schluss gemacht.« Sie schüttelte den Kopf und lachte unter Tränen. »Er sagte, er hätte nur versucht, nett zu sein. Dass er nicht wollte, dass ich meine Jahre mit ihm vergeudete. Und dann sagte er das, was mich am meisten von allem verletzte. Er sagte, es war nur eine Einbildung von dir, Annie. Ich habe dich niemals wirklich so geliebt, wie du dachtest.« Der Blick, den Miranda auffing, glich dem eines verwundeten Tieres. »Fünf Jahre, und dann erzählt er mir so etwas. Aber er hatte mir nicht die Wahrheit gesagt, nämlich, dass er jemand jüngeren gefunden hatte. Dich.« In ihrer Stimme schwang weder Feindseligkeit noch Wut, sondern nur Resignation. »Ich habe dir nie die Schuld daran gegeben, Miranda. Du wusstest es nicht. Du warst nur ein weiteres Opfer. Er hätte dich verlassen, so wie er uns alle verlassen hat.«
»Du hast Recht, Annie. Wir waren alle seine Opfer.«
»Es tut mir Leid. Es tut mir so Leid, Miranda.« Annie ließ ihre Hand in der Jackentasche verschwinden. »Doch jemand muss dafür bezahlen.« Und dann zog sie die Pistole hervor.
Miranda starrte in die Mündung, die auf ihre Brust gerichtet war. Sie wollte darüber diskutieren, wollte bitten und betteln, irgendetwas tun, dass Annie veranlasst hätte, die Waffe fallen zu lassen, doch ihre Stimme schien in ihrer Kehle fest gefroren. Sie konnte nur noch auf die schwarze Mündung starren und sich fragen, ob sie die Kugel spüren würde. »Komm, Miranda. Lass uns gehen.« Miranda schüttelte den Kopf. »Wo … wohin?« Annie öffnete die Tür und bedeutete Miranda, vorzugehen. »Nach oben. Aufs Dach.«
Wieder war niemand zu Hause.
Chase ging um Annies Haus herum zur Garage und sah, dass der Wagen weg war. Miranda musste zurückgekommen und gleich wieder aufgebrochen sein. Er stand in der Auffahrt und fragte sich, wo er als nächstes nachsehen sollte, als er das Telefon im Haus läuten hörte. Er rannte die Verandastufen hinauf und ins Haus hinein.
Lorne Tibbetts war am Apparat. »Ist Miranda da?« erkundigte er sich.
»Nein, ich suche sie auch gerade.«
»Wie sieht es mit Annie Berenger aus?«
»Auch nicht hier.«
»In Ordnung«, sagte Lorne. »Ich möchte, dass Sie das
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