Gefährliche Begierde
Pistole und spannte den Hahn.
»Oder würdest du das Dach bevorzugen?«
Ich muss Zeit gewinnen
, dachte Miranda.
Muss auf eine Chance zu fliehen warten.
Sie drehte sich um und schaute die letzte Treppe hinauf.
»Geh weiter«, sagte Annie.
Miranda begann mit dem Aufstieg.
Vierzehn Stufen, jede einzelne davon zu erklimmen schien eine Ewigkeit zu dauern. Vierzehn Leben, die vorbeigingen. Sie versuchte, sich fieberhaft das Dach ins Gedächtnis zu rufen, Grundriss und Fluchtwege. Sie war nur einmal dort oben gewesen, als die Nachrichtenredaktion sich für ein Gruppenfoto versammelt hatte. Sie erinnerte sich an einen schmalen Asphaltstreifen, der von drei Schornsteinen unterbrochen wurde, an ein Heizungsrohr und an einen Transformatorschuppen. Vier Stockwerke nach unten – würde sie diesen Sturz überleben? Oder war es nur hoch genug, um einen Krüppel aus ihr zu machen, ein hilfloses Bündel gebrochener Knochen, das Annie mit ein paar Schüssen erledigen würde?
Die Tür zum Dach befand sich über ihr. Wenn sie es nur schaffen würde, sie zu erreichen und sich dahinter zu verbarrikadieren, dann würde sie vielleicht Zeit gewinnen, um nach Hilfe zu rufen.
Nur noch ein paar Schritte.
Sie stolperte und fiel vornüber auf die Stufen.
»Steh auf«, befahl Annie.
»Mein Knöchel …«
»Ich sagte, steh auf!«
Miranda saß auf einer Treppenstufe und massierte sich den Fuß. »Ich glaube, ich habe ihn mir verstaucht.«
Annie trat einen Schritt näher. »Dann krieche, wenn es anders nicht geht! Aber sieh zu, dass du die Stufen hinauf kommst!«
Miranda, die sich mit angezogenen Beinen mit dem Rücken gegen die Stufen drückte, fuhr ruhig damit fort, ihren Knöchel zu reiben, wobei sie die ganze Zeit nur darauf wartete, dass Annie näher kam.
Annie nahm die nächste Stufe. Sie stand nun direkt unter Miranda; die Waffe beängstigend nahe. »Ich kann nicht auf dich warten. Deine Zeit läuft ab.« Sie zielte mit der Pistole auf Mirandas Gesicht.
In diesem Moment hob Miranda ihren Fuß – und trat Annie geradewegs in den Magen. Annie stürzte rückwärts die Stufen hinunter und blieb ausgestreckt am Ende der dritten Treppe liegen. Doch selbst als sie fiel, ließ sie die Waffe nicht los. Es gab keine Möglichkeit, ihr die Pistole zu entreißen. Annie war schon wieder auf ihren Knien; die Waffe in ihrer Hand zeigte mit der Mündung auf ihr Opfer.
Miranda wuchtete die Tür, die zum Dach führte, auf und stürmte hinaus, als Annie auf sie schoss. Sie hörte, wie die Kugel in die Tür einschlug und fühlte Holzsplitter durch die Luft sausen, bevor sie sich in ihre Haut bohrten. Es gab keinen Riegel und damit keine Möglichkeit, die Tür vor Annie zu verschließen. Es blieb nur wenig Zeit. Sekunden vielleicht. Noch vierzehn Stufen, und Annie war auf dem Dach.
Miranda blickte wild um sich und konnte die Silhouetten der Schornsteine, Kisten und andere nicht identifizierbare Schatten in der Dunkelheit ausmachen.
Schritte dröhnten auf den Stufen.
In ihrer Panik rannte Miranda auf sie zu und schlüpfte hinter den Transformatorschuppen. Sie hörte, wie die Tür auf- und gleich darauf geräuschvoll wieder zuflog. »Du kannst nirgendwo hin, Miranda. Nirgendwo, außer geradewegs nach unten. Wo auch immer du bist, ich werde dich finden …«
Chase entdeckte den Wagen schon von Weitem, Mirandas alter Dodge parkte vor dem Verlagsgebäude. Er hielt hinter ihm und stieg aus. Ein Blick durch das Fenster verriet ihm, dass niemand darin saß. Miranda – oder wer auch immer damit hierher gefahren war – musste im Verlag sein.
Er rüttelte an der Eingangstür zum Herald. Sie war abgeschlossen. Doch durch das Fenster sah er eine Lampe auf einem der Schreibtische brennen. Er schlug gegen die Tür.
»Miranda?« Niemand antwortete.
Er rüttelte noch einmal an der Tür, und dann ging er zur Rückseite des Verlagsgebäudes. Es musste noch einen anderen Weg geben, ein offenes Fenster oder eine Laderampe. Er bog um die Ecke auf einen Pfad ein, als er laute Schüsse hörte.
Sie kamen aus dem Gebäude.
»Miranda?« brüllte er.
Er verschwendete keine Zeit mehr damit, nach offenen Eingängen zu suchen. Er schnappte sich eine Mülltonne, schleifte sie vor das Gebäude und warf sie durch ein Fenster. Glas zersplitterte und prasselte wie Hagel auf die Schreibtische nieder. Er trat gegen die letzten Scherben am Fenstersims und ließ sich auf einen Teppich, der mit rasierklingenscharfen Splittern übersät war, fallen. An den Schreibtischen
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