Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
damals schon die Ausgrenzung, die sie erfuhren, etwa in der Distanz der Dorfbewohner. Aus meiner damaligen Sicht erkannte ich aber auch den Zwiespalt zwischen der juristischen Verfolgung solcher Menschen und der sozialen, psychischen und medizinischen Hilfe, die sie doch ganz offensichtlich brauchten.
Was mir auf jeden Fall aus diesen Begegnungen geblieben ist, ist eine Sensibilität für Ausgrenzung und Benachteiligung und eine innere Empörung dagegen. Früh entwickelte ich den festen Willen, mich dem zu widersetzen und mich zu engagieren. Und das dürfte ein wesentlicher Impuls für meine Berufswahl in die Sozialarbeit gewesen sein. Nach Abitur und Zivildienst nahm ich das Studium der Sozialarbeit mit dem Ziel auf, besonders benachteiligte Menschen wie Drogenabhängige oder Straftäter zu unterstützen, sodass diese integriert und akzeptiert in unserer Gesellschaft leben können.
Erste Begegnung mit dem Rand
Aus der Initiative in unserem Dorf, die mich in jungen Jahren beeindruckt und mit drogenabhängigen Menschen in Kontakt gebracht hat, ist inzwischen eine anerkannte Fachklinik für die Behandlung von drogenkranken Menschen geworden. 1 Heute haben die Einwohner in meinem Heimatdorf mit der Existenz dieser Einrichtung und ihren Patienten auch keine Probleme mehr. Sie gehören dazu, sind integriert, und die Dorfbewohner gehen in der Klinik einkaufen.
Mein beruflicher Weg führte mich in den Strafvollzug; mit der Freiburger Justizvollzugsanstalt lernte ich eine Einrichtung kennen, die seit 1875 Straftäter gefangen hält und sich dabei an den jeweiligen politischen, gesellschaftlichen Ideen und Vorgaben orientiert. Die Anstalt hat das Kaiserreich und den ReichskanzlerOtto von Bismarck genauso erlebt und überstanden wie die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus. Mit dem 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz wurde die Anstalt erstmals mit reformorientierten Ideen für den Umgang mit den Gefangenen und dem Ziel ihrer Integration konfrontiert. Frühere, ähnliche Ideen und Entwürfe aus der Weimarer Zeit konnten sich nicht durchsetzen und wurden von den Nationalsozialisten abgewürgt.
Meine Vorstellungen von Behandlung und Umgang mit Straftätern, die sich an Ideen abolitionistischer Denker wie Thomas Matthiesen oder Nils Christie 2 orientieren, waren und sind für eine klassische Strafanstalt eher fremd. Auch reformorientierte Initiativen, wie die Sozialpolitischen Arbeitskreise (SPAK) oder die Ansätze einzelner Juristen, die sich als Vertreter einer kritischen Kriminologie verstehen, konnten sich bis heute kaum durchsetzen.
In den unterschiedlichen Formen der Haft erlebte ich vor allem eines: viel menschliches Leid. Ursache waren Inhaftierte mit ihren strafbaren Handlungen, die jetzt in der Konsequenz einem repressiven Strafsystem ausgesetzt waren. Oft erfuhr ich im Gefängnis auch von traumatisierenden Verletzungen der Täter, die ihr bisheriges Leben lang unbeachtet geblieben waren.
Ich begegnete Untersuchungsgefangenen, die von jetzt auf gleich aus ihrem gesamten sozialen Umfeld gerissen und in einer Abgeschiedenheit von der Welt festgehalten werden, die manchen für sein Leben beschädigt. Ich begegnete Strafgefangenen, denen sich die Reform des Strafvollzugs 1977 vor allem in Form eines um sich greifenden Rechtsmittelsystems zeigte, das nicht zuletzt immer auch der Absicherung der Verantwortlichen des Systems dient und die Gefangenen als Mitmenschen kaum beachtet. Ich sah Strafgefangene mit langen Freiheitsstrafen, ich sah Sicherungsverwahrte, denen hohe Gefährlichkeit unterstellt und aus diesem Grund eineRückkehr in die menschliche Gemeinschaft verwehrt wird. Häufig begegnen mir auch Menschen, die vor der Entlassung aus der Haft stehen und die in dieser Situation mit ihren Ängsten konfrontiert sind, insbesondere mit der Frage, ob sie es überhaupt noch schaffen werden, selbständig in Freiheit zu leben. Sie wissen um die Ängste ihrer Umgebung und deren Misstrauen. Sie kennen aber auch ihre eigene Unzulänglichkeit.
Sozialarbeit hinter Gittern
„Wenn wir die Menschen nur nehmen,
wie sie sind, so machen wir sie schlechter.
Wenn wir sie behandeln, als wären sie, wie sie sein sollten,
so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.“
Johann Wolfgang Goethe
Nach dreißig Berufsjahren bin ich überzeugt: Die Haltung, die Goethe hier formuliert, erzielt eine positive Wirkung. Wesentlich, um überhaupt wirksam mit Straffälligen arbeiten zu können, ist die Bereitschaft,
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