Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
das Leben weitergehen, wo will er wohnen, wo arbeiten? Das Leben außerhalb der Gefängnismauern ist zu vielfältig, als dass er es sich leisten kann, sich noch lange mit der Auseinandersetzung seiner juristischen Vergangenheit zu beschäftigen. Er erzählt von seiner Mutter, mit der er noch in Kontakt steht, oder von einer geplanten Unterbringung in einem Wohnheim, die sein zuständiger Sozialarbeiter in Erwägung gezogen hatte, aus der aber nichts geworden ist. Deutschlandweit sind die entsprechenden Einrichtungen durch die Hysterie der Politiker und Medien so verschreckt, dass sie entlassene Sicherungsverwahrte nicht mehr aufnehmen. Ludwig Roser wendet sich mir kooperativ zu, lässtsich auf meine Gesprächsthemen ein und berichtet von seiner Absicht, sich in Freiburg niederzulassen. Wir verabreden uns zu einem zweiten Besuch, an dem auch der zuständige Sozialarbeiter des Gefängnisses teilnehmen wird.
Dieser zweite Besuch findet fünf Tage später statt; der Mitarbeiter des Sozialdienstes wird mit den städtischen Behörden eine Unterkunft für Ludwig Roser in Freiburg suchen; auch eine Ausführung zum Kauf passender Kleidung stellt er in Aussicht. Ludwig Roser erklärt sich bereit, mir einen Fragebogen zu seiner persönlichen Situation auszufüllen, um mir außer über die offiziellen Unterlagen einen Einblick in seine Sicht über die Situation zu geben.
Zwei Tage später kommt Ludwig Roser im Rahmen einer Ausführung in mein Büro. Er war Kleidung einkaufen und hat mir meine Fragen schriftlich beantwortet. Seine Angaben sind sehr knapp; er sieht sich ohne Einkünfte, alleine auf der Welt mit der Perspektive „Hartz IV – Rente – Tod“ und hat „Hilfe zur Wiedereingliederung“ als Wunsch und Erwartung an die Bewährungshilfe.
Sechs Tage später besuche ich ihn erneut in der Vollzugsanstalt, er macht einen äußerst angespannten Eindruck. Wie wird er den ersten Tag außerhalb der Mauern verbringen? Zwischenzeitlich war auch schon die Polizei bei ihm; er weiß, dass er mit einer Dauerobservation rechnen muss.
Einen Tag später erhalte ich von der Polizei die telefonische Auskunft, dass für den nächsten Tag mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts zu rechnen sei. Die Frage der Unterkunft in der städtischen Übergangseinrichtung ist geklärt. Wir vereinbaren, dass ich Ludwig Roser beim Einzug an seinem neuen Wohnort besuche. Zuvor werde ich einen gleichzeitig entlassenen anderen Sicherungsverwahrten zu dessen Wohnung begleiten.
Es ist soweit. Ludwig Roser ist entlassen, ich suche ihn in seiner neuen Umgebung auf. Dort herrscht große Aufregung.Viele Polizeibeamte, die mit der neuen Situation ebenso wenig vertraut sind wie Ludwig Roser und die anderen Bewohnerinnen und Bewohner im Haus. Der für Ludwig Roser zuständige „KUR S-Koordinator “ 35 der Freiburger Kriminalpolizei belehrt ihn über Pflichten und dass er sich frei bewegen kann, ihm aber auf Schritt und Tritt Polizeibeamte folgen werden. Dass ihm diese fünf Begleiter für das kommende Jahr auf Dauer erhalten bleiben, ahnt zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich keiner der Beteiligten.
Ähnlich sieht bei Gerhard Kraus der Start in die Freiheit aus. Ich bin sehr gespannt, was für ein Mensch mir begegnen wird, als ich ihn im Gefängnis besuche. Die Vorausinformationen klingen sehr pessimistisch, ungünstiger kann ein Mensch kaum beurteilt werden. Neben dem Hinweis auf die Leugnung der Delikte und der damit aus Sicht der Justizvollzugsanstalt nicht möglichen therapeutischen Behandlung wird jetzt auch verstärkt der Aspekt seiner nicht (mehr) vorhandenen Alltagstauglichkeit als Folge einer fortgeschrittenen Hospitalisierung thematisiert. Der zuständige Psychologe betont, dass Gerhard Kraus zur Erstellung einer Stellungnahme im August 2010 erstmals mit ihm spricht. Zum selben Zeitpunkt verweist der zuständige Sozialarbeiter der Justizvollzugsanstalt auf seine Stellungnahme von vor zwei Jahren, in der er erfolglose Bemühungen um die Aufnahme in eine beschützende und begleitende Einrichtung damit abschließt, dass es „für Fälle wie den von Herrn Kraus keine geeigneten Rahmenbedingungen für eine Entlassung gibt.“
Den einzigen Hoffnungsschimmer gibt der für Gerhard Kraus zuständige Vollzugsbeamte, der sich im Gefängnisalltag mit ihm auseinandersetzt und der meint: „Der Sicherungsverwahrte zeigt ein korrektes Verhalten gegenüber Bediensteten und Verwahrten. Auf dem Stockwerk gibt es keine Probleme. Er ist ruhig, unauffällig und hilft
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