Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
öfters aus, wenn Not am Mann ist.“ 36
Beim Besuch im Gefängnis treffe ich auf einen Mann, wie ihn seine Betreuerin in ihrem Bericht beschrieben hat. Lange, zottelige graue Haare, eher klein und schlaksig, Ketten um den Hals, Ringe an den Fingern, aber mit wachen Augen und interessiert am Gespräch, von Alkohol keine Spur. Und er erinnert sich genau, dass er mich kennt. Ich hätte einmal einem seiner Zellenkollegen bei einem schwierigen Anliegen weitergeholfen. Das habe damals genützt und er hoffe, dass das bei mir immer noch so sei. Ich erinnere mich nicht an diese Situation, die etwa zwanzig Jahre zurückliegen muss, nehme aber den nebenbei mitgeteilten Vertrauensvorschuss zur Kenntnis. Er bringt das Gespräch sodann auf sein Thema: Unschuldig verurteilt sei er, und er spricht von Details, die aus seiner Sicht dieses Fehlurteil belegen.
Ich versuche das Gespräch auf die aktuelle Situation zu lenken, darauf, dass die Entlassung in Aussicht stehe und es noch vollkommen offen sei, wie sich das Leben in Freiheit für ihn gestalten werde. Er schaltet gedanklich um, ist klar orientiert, berichtet von den Versuchen, eine passende Einrichtung für ihn zu finden, was er gerne angenommen hätte, und er weiß auch, dass seine Beschwerde auf Entlassung aus der Sicherungsverwahrung inzwischen zur Entscheidung beim Oberlandesgericht vorliegt. Keine Spur von Desorientierung oder Alltagsferne, was mich fürs Erste ein wenig beruhigt. Seine Version über die unrechtmäßige Verurteilung stellen wir einvernehmlich beiseite.
Zwei Wochen später taucht Gerhard Kraus ohne Vorankündigung überraschend in meinem Büro auf. Man hat ihm erlaubt, im Rahmen einer Ausführung mit einem Vollzugsmitarbeiter etwas Kleidung einzukaufen. Erneut besprechen wir seine Situation, wann er wohl entlassen wird, er lernt meine Kollegin kennen. Ich biete ihm an, an einer Gesprächsgruppe mit drei anderen Männern teilzunehmen, die aus der Sicherungsverwahrung entlassen sind. Es zeichnet sich ab, dass dieBedingungen nach der Entlassung hart sein werden, es wird keine Wohnmöglichkeit geben, weder auf dem Wohnungsmarkt noch vonseiten der zuständigen städtischen Behörden und Einrichtungen, die sich inzwischen weigern, entlassene Sicherungsverwahrte aufzunehmen oder zu unterstützen. Voraussichtlich wird er übergangsweise das Angebot der Vollzugsanstalt bekommen, so lange im dortigen Freigängerhaus als geduldeter Gast zu wohnen, bis sich eine andere Wohnsituation findet. Wir bearbeiten den Antrag auf Arbeitslosengeld II, umgangssprachlich Hartz IV benannt, damit er nach seiner Entlassung nicht völlig mittellos ist.
Vier Tage später ergeht der Beschluss des Oberlandgerichts Karlsruhe, dass Gerhard Kraus aus der Verwahrung entlassen wird, was für ihn zunächst bedeutet, innerhalb der Justizvollzugsanstalt in deren Freigängerhaus umzuziehen. Wir verabreden uns dort am Tag seiner Entlassung, ich hole ihn ab und wir gehen in eine nahe gelegene Gaststätte, um zur Begrüßung in der Freiheit einen Kaffee zu trinken und ein Stück Kuchen zu essen. Vor drei Jahren hatte der Gutachter solche Gespräche in freundlicher Atmosphäre vorgeschlagen und angemahnt.
Mit der Entlassung beginnt ein Prozess von Ablehnung, Ausgrenzung und Dämonisierung. Welche Ausmaße dieser noch annehmen wird, ahnen weder die betroffenen Männer noch ich zu dieser Zeit.
Herzlich willkommen?
Ludwig Roser ist in einer städtischen Unterkunft untergekommen, die man selbst mit größtem Wohlwollen nur als schäbig und heruntergekommen bezeichnen kann. Später werden sich Polizeibeamte, die die angeordnete Observation durchführen müssen, über die Zumutung beklagen, sich in diesen Räumen aufhalten zu müssen. Gerhard Kraus wohnt als freier Mann im Gefängnis, weil ihm die zuständigen Behörden, vor allem dieKommune als zuständige Stelle bei drohender Wohnungslosigkeit, keine geeignete Unterkunft bieten wollen.
Finanziell sieht es nicht besser aus. Gerhard Kraus wird nach 35 Jahren Haft mit 137.- Euro und einer Tasche mit Kleidung entlassen. Ludwig Roser hat knapp 250.- Euro, bei der Kleidung sieht es ähnlich aus. Sein Hab und Gut besteht vor allem aus seiner juristischen Korrespondenz, während Gerhard Kraus noch selbst geschriebene Bücher, Manuskripte und Bastelmaterial besitzt. Beide beantragen die Gewährung von Arbeitslosengeld II, was ihnen auch problemlos bewilligt wird.
Kontakte haben beide keine, außer den ihnen vom Gericht vorgeschriebenen
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