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Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung

Titel: Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Asprion
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unterdrückt und das System als hundertprozentig zuverlässig verkauft.
    Angenommen, Sie nehmen die Perspektive ein, dass Sie als Täter identifiziert sind und präventiv aus dem Verkehr gezogen werden. Was wären Ihre Gedanken zu diesem System?
    In der Praxis ist sich wohl jeder Gutachter bewusst, dass er Zweifel an seinen Prognosen haben muss. Eindrücklich belegt hat dies Michael Alex mit seiner Untersuchung zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. In dieser Untersuchung ging er der Frage nach der Rückfälligkeit von als gefährlich angesehenen Straftätern nach. Bei dem untersuchten Personenkreis handelte es sich um 77 Männer, gegen die wegen vermuteter Gefährlichkeit eine nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet werden sollte, was jedoch von den Gerichten abgelehnt wurde. Drei Jahre nach ihrer Entlassung waren von diesen 77 Männern 46 strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten; erneut mit einer Freiheitsstrafe mussten nur 14 verurteilt werden. Das bedeutet, dass der größte Teil der als gefährlich angesehenen Entlassenen nicht oder nur so geringfügig wieder aufgefallen ist, dass Bewährungs- oder Geldstrafen von den Gerichten als ausreichende Reaktion angesehen wurden.
    Michael Alex begründet die Fehlerquote bei Prognosegutachten:
Fragwürdige Eignung von Klassifikationssystemen zur Prognosebegutachtung
Überbewertung von Befunden
Fehler bei der Interpretation von „Tatsachen“
Falsche Schlüsse aus richtigen Tatsachen
Interpretationen werden zu festgeschriebenen Etikettierungen
Mangelhafte wissenschaftliche Qualität
Mangelhafte Aufarbeitung der Tat als (unzulässiges) Negativkriterium
Methodisch und statistisch unzulässige Rückschlüsse
Fehler durch „Fachblindheit“ von Psychiatern
Nichtberücksichtigung von protektiven Faktoren und Resilienzbedingungen
Prognose wird als statisch und nicht als etwas Dynamisches gesehen
Beständige Fehlinterpretation der sogenannten „Basisrate“
Rechtskraft des Urteils – Bindungswirkung für Prognosegutachten?
Offensichtliche Fehlinterpretation von Testergebnissen 28
    Der Psychiater Norbert Nedopil, Herausgeber eines Handbuchs zur Erstellung Forensischer Prognosen 29 und selbst gefragter Gutachter, erklärt, dass nach seiner Erkenntnis die zeitliche Reichweite prognostischer Gutachten bei sechs Monaten liegt. Außerdem geht er davon aus, dass von fünf als gefährlich prognostizierten Probanden vier falsch prognostiziert sind. Die hohe Fehlerquote zu Lasten der Begutachteten erklärt er nachvollziehbar damit, dass Gutachter „auf der sicheren Seite“ stehen wollen. Im Falle des Rückfalls eines Täters mit als günstig prognostizierter Zukunft hat ein Gutachter vom Verlust seines Ansehens, öffentlichen Anfeindungen und Anprangerung bis hin zu Strafverfahren gegen sich selbst eine breite Palette an Konsequenzen zu fürchten. Wer will sich das antun, nur um einigen Tätern eine ungerechtfertigte Verwahrung zu ersparen?

Endlich frei?
    „Es ist nicht euere Aufgabe,
    die Zukunft vorherzusagen,
    sondern sie zu ermöglichen.“

    Antoine de Saint-Exupéry

    Den Anfang vom Ende der Sicherungsverwahrung für Gerhard Kraus und Ludwig Roser setzt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Dieser entschied mit dem Urteil vom 17. Dezember 2009, dass es gegen Art. 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße, wenn ein Sicherungsverwahrter, der unter Geltung des früheren Rechts mit maximal zehn Jahren Sicherungsverwahrung rechnen musste, nachträglich für unbestimmte Zeit in Verwahrung bleiben muss. In Artikel 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention ist das Rechtsprinzip „Keine Strafe ohne Gesetz“ bestimmt, das auch für unsere Rechtsordnung gilt. Ein entscheidendes Kriterium für den Gerichtshof in Straßburg ist, dass er die Sicherungsverwahrung als eine „Strafe“ ansieht. Er begründet dies damit, dass sich die Sicherungsverwahrung in ihrer Vollstreckung kaum von der Haftstrafe unterscheidet. Nach dieser Argumentation ist eine nachträglich verlängerte Sicherungsverwahrung ausnahmslos menschenrechtswidrig, weil sie verhängt wird, ohne dass eine neue Straftat vom Inhaftierten begangen wurde.
    Justiz und Politik in Deutschland reagieren zunächst abwehrend bis überhaupt nicht auf dieses Urteil. Es wird als nicht direkt anzuwenden angesehen, die betroffenen Verwahrten werden nicht entlassen. Nach Ablauf der Rechtsmittelfrist gegendas Straßburger Urteil im Mai 2010 stellen Verwahrte Anträge auf Entlassung aus ihrer

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