Gefaehrliche Freiheit - das Ende der Sicherungsverwahrung
Wir gehen sachlich miteinander um. (…) Ich wäre es nicht so, sage ich ganz offen. Ich glaube, ich würde mir das nicht zumuten wollen (die Situation des Observierten, Anm. d. Verf.).“ 39
Offensichtlich spüren die Polizisten die Ambivalenz ihres Auftrags und sind in der Lage, mit Ludwig Roser kooperativ umzugehen. Manche gehen sogar einen Schritt weiter und unterstützen ihn in alltäglichen Dingen, geben Auskünfte, Ratschläge oder kleine Zuwendungen.
Andere wiederum haben Mühe, die Balance zwischen gefährlichem und alltäglich normalem Verhalten zu unterscheiden. Klar ist es ein Verstoß gegen die Weisung, wenn Ludwig Roser ein Messer mit mehr als fünf Zentimeter Klingenlänge mit sich führt. Ist es aber wirklich gefährlich, wenn Ludwig Roser seiner Mitbewohnerin für deren Hasen Löwenzahn vom Spaziergang mitbringen will und dazu sein Küchenmesser benutzt? Zumal er sich in sichernder Begleitung weiß. In der Folge führt dieser Vorgang zu einer persönlichen Anhörung bei der Führungsaufsichtsstelle mit der deutlichen Belehrung, dass dieses Verhalten strafwürdig und mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist.
Für Ludwig Roser sind diese täglichen Situationen belastend. Er kann keinen unbeobachteten Schritt tun, mit niemandem Kontakt aufnehmen, ohne damit rechnen zu müssen, dass dieser protokolliert und kritisch überwacht wird. Trotzdem verhält er sich in der Regel mit den begleitenden Beamten kooperativ.
Gerhard Kraus ist derselben Situation ausgesetzt; allerdings mit dem Unterschied, dass die Polizeibeamten das Freigängerhaus,in dem er mit zwei anderen entlassenen Sicherungsverwahrten eine Dreizimmerwohnung bewohnt, nicht betreten. Demzufolge hört auch die Polizei seine Gespräche oder sonstigen Geräusche nicht vom Nachbarzimmer aus mit. Geradezu absurd wirkt es auf mich allerdings, wenn fünfzehn Polizisten wegen drei Männern, von denen zwei gesundheitlich eingeschränkt und über sechzig Jahre alt sind, nachts vor der verschlossenen Gefängnistür Wache halten. Zeitweise war sogar ein spezieller Container vor dem Freigängerhaus als stationäres Einsatzzentrum aufgebaut.
Stationäre Einsatzleitung vor dem Freigängerhaus der JVA Freiburg
Kurios wird die Situation, als der Anwalt, der die drei im Freigängerhaus wohnenden Männer vertritt, diese zu einem gemeinsamen Mittagessen in eine Gaststätte in der Freiburger Innenstadt einlädt. Mit fünfzehn Begleitern hinter sich sind die drei Männer beinahe auffälliger bewacht als Kanzlerin Angela Merkel bei ihrem Besuch in Freiburg. Die Signale sind klar und eindeutig: Einen freundlichen Empfangsraum gibt es nicht, wir wollen euch nicht in unserer Stadt.
In Bethlehem war es einfacher
Die Wohnverhältnisse sind sowohl für Gerhard Kraus als auch für Ludwig Roser allerhöchstens als Notbehelf für eine Übergangszeit erträglich. Ludwig Roser erhält vom Amt für Wohnraumverwaltung der Stadt Freiburg die schriftliche Aufforderung, sich bei den zuständigen Sozialberatern des Amtes zu melden. Eine Beratung vor Ort findet seit seiner Anwesenheit im Haus nicht mehr statt, auch nicht für die anderen Bewohner. Auch in einer anderen Unterkunft der Stadt ändert sich die Beratungspraxis, da sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stadt weigern, vor Ort zu kommen. Begründung: Sie würden sich trotz der Anwesenheit von jeweils fünf Polizeibeamten gefährdet fühlen.
Auf die schriftliche Einladung des Amtes hin vereinbare ich für Ludwig Roser einen Beratungstermin in der zuständigen Behörde. Ludwig Roser nimmt diesen Termin wahr, mit dem Ergebnis, dass sein vereinbartes und angekündigtes Erscheinen im Amt als besonderes Vorkommnis gewertet wird. In einem anschließend aus diesem Grund geführten Gespräch mit mir, meiner Abteilungsleiterin und der Leitung und Mitarbeitern des Amtes werden wir gebeten, künftig zu verhindern, dass unsere Klienten nochmals persönlich im Amt vorsprechen. Dieses besondere Vorgehen ist neu, üblicherweise ist es für wohnungssuchende Freiburger Bürger erforderlich, persönlich vorzusprechen, um die notwendigen Bescheinigungen für eine Wohnungszuweisung zu erhalten. Erschüttert über diese extreme und unserer Meinung nach unbegründete Abwehr und Ausschlussbereitschaft verlassen wir das Amt und fragen uns, wie wir unter diesen Umständen unseren Klienten die notwendige Unterstützung bieten können sollen.
Der Versuch, eine Unterkunft auf dem privaten Wohnungsmarkt zu finden, gestaltet sich
Weitere Kostenlose Bücher