Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
wen Laura geschwärmt hatte. Ein Regal zierte die rechte Wand – leer. Nicht mal eine Staubfluse lag auf den Brettern. Daneben stand der Schreibtisch, aber auch er war von jeglichen Papieren, Mappen, Stiften und anderen Arbeitsutensilien bereinigt. Das gibt es doch gar nicht! Sie hatten alles weggeräumt! Kein Wunder, dass die Mutter meinte, sie würde das Buch nicht finden. Ohne große Erwartungen zog ich die Schubladen heraus und fand natürlich nichts. Hier hatte sie den Abschiedsbrief geschrieben, schoss es mir durch den Kopf. Hier hatte sie gesessen am letzten Tag ihres Lebens. Mich schauderte. Ich hatte es ja nicht geglaubt, aber diese merkwürdigen Eltern hatten den Brief vermutlich tatsächlich vernichtet.
Ich setzte mich auf den Lattenrost des Bettes und schaute mich um. Es war ein verwaistes Zimmer. Seine Besitzerin war tot. Und ihre Eltern waren verdammt schnell gewesen, alles zu entfernen, was an sie erinnerte. Ich meine, was hatte ich erwartet? Nicht dass sie den Abschiedsbrief gerahmt an die Wand hängen, klar. Aber es hätte doch irgendetwas hier sein müssen, was mir Aufschluss über ihr Leben hätte geben können. Und jetzt? Alles umsonst! Was für eine bescheuerte Idee von dir, Sander! Deine kleine Turnübung draußen an dem Regenrohr war total überflüssig gewesen. Zumindest, wenn du mit leeren Händen zurückkehrst. Ich legte mich auf den Boden und schaute unter das Bett. Das Licht fiel in Mustern durch den Lattenrost. Auch hier war es klinisch rein. Keine gebrauchten Taschentücher, Wollmäuse oder Staubflusen zu sehen. Da fiel selbst der Nagel auf, der ein paar Millimeter aus der Fußleiste hervorragte. Er war das Einzige, was hier nicht perfekt war. Was sich nicht in Reih und Glied eingeordnet hatte. Ich setzte mich wieder auf, schaute einen Moment durch das Zimmer in den Garten mit den hohen Bäumen an den Seiten und dem großen Rasenstück in der Mitte. Da könnte man im Sommer gut Frisbee spielen. Ich seufzte. Diese Mission war total in die Hose gegangen. Schade. Enttäuscht ging ich zur Balkontür, als mir dieser unperfekte Nagel einfiel. Ich ging zurück, legte mich unter das Bett und zog an der Fußleiste. Ich musste noch nicht mal Kraft aufwenden, um sie abzunehmen. Der Teppichboden darunter war lose. Ich hob ihn an und sah die Ecke eines Fotos. »Na, wer sagt es denn?«, murmelte ich. Ich zog es heraus, drückte den Teppich glatt und die Fußleiste fest und tauchte unter dem Bett hervor. Auf dem Foto waren drei Mädchen am Strand. Laura erkannte ich sofort, aber auch Milena hatte sich kaum verändert. Nur, dass sie viel… glücklicher aussah. Sie hatte gar nichts Prinzessinnenhaftes an sich, nein, sie sah aus wie ein normales Mädchen. Ich schätzte, dass sie ungefähr fünfzehn waren. Das Mädchen in der Mitte hatte ich noch nie gesehen. Sie hatte hellbraune lange Haare und grüne Augen. Die drei hatten die Arme umeinandergelegt, trugen bunte Sommerkleider und strahlten lachend in die Kamera, als hätte eine von ihnen gerade einen Witz erzählt. Sie sahen aus wie eine eingeschworene Gemeinschaft. Ich drehte es um. Milena, Naomi, ich, Juist. Ich hörte ein Geräusch auf dem Flur und erschrak. Ich sollte machen, dass ich hier wegkam. Ich stopfte das Foto in meine Jackentasche und ging zurück auf den Balkon. Eisiger Wind war aufgekommen. Ich schaute auf das Regenrohr. Der Abstand sah auf einmal viel größer aus. Wie war ich da nur raufgekommen? Und wie um alles in der Welt sollte ich da wieder runterkommen, ohne unten auf die Natursteinplatten zu donnern? Mist, verdammter. Ich müsste versuchen, durch das Haus hinauszuschleichen. Aber da war dieser Hund. Und eine verbitterte Frau, die Mädchen hasste. Nein, das ging nicht. Ich musste da hinunter. Irgendwie. Ich setzte mich auf das Balkongeländer. Jetzt sah die Kluft zum Regenrohr und zum Garagendach geradezu gigantisch aus. Ich müsste springen, mich mit klammen Fingern an dem glatten eiskalten Regenrohr festklammern und mich um die Ecke schwingen wie ein Affe, um es auf das Garagendach zu schaffen. Diese Situation war selbst für meine Verhältnisse äußerst mies. Ich überlegte, welche Optionen ich hatte. Aber ich hatte keinerlei Idee, wie ich hier ohne Blessuren oder Anzeige wegen Hausfriedensbruch rauskommen sollte. Verflixt noch eins. Da hörte ich auf einmal, wie sich jemand räusperte.
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Kannst du mir mal verraten, was du da schon wieder machst?«, fragte Enzo. Er stand an der Hausecke und schaute fassungslos zu mir
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