Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
Nora, genau wie dieser John nur eine Erfindung war. Milena hat mit der Sache gar nichts zu tun.«
»Aber warum sollte Nora Lauras Tagebuch fälschen?«
»Sie hasst Milena«, sagte ich. »Oder meine liebe Mitschülerin hat etwas zu verbergen.«
28
Am Montag auf dem Weg zur Schule bat ich Enzo am Schreibwarenladen zu halten. Dort kaufte ich ein Freundebuch. Leider gab es keines, das nicht peinlich war, und so nahm ich notgedrungen eines mit einem großnasigen Pferd, das unter einer wuscheligen blonden Mähne hervorlugte. Gruselig. Aber was tat man nicht alles, um in Zeiten von E-Mails und SMS und Facebook an eine handgeschriebene Schriftprobe einer Klassenkameradin zu kommen, die verdächtig war, das Tagebuch eines toten Mädchens gefälscht zu haben. Enzo weihte ich natürlich nicht in den Grund des Kaufs ein und so musste er mich natürlich gleich auf die Schippe nehmen. »Darf ich auch reinschreiben?«, flachste er, als ich mit dem Buch in der Hand zurückkam. Normalerweise hätte ich es ihm um die Ohren gehauen. Aber nicht heute. »Ist gut«, sagte ich.
»Hey«, rief er erstaunt. »Das Wellness-Wochenende hat dir gutgetan. So entspannt kenne ich dich gar nicht.«
»Ja, du mich auch«, sagte ich und reichte ihm das Buch. »Du musst aber jetzt sofort reinschreiben.« Dann wäre es nicht so auffällig, wenn Nora es als Erste bekam.
»Jetzt? Ich habe aber gar kein Foto von mir dabei.«
»Ich habe ein fotografisches Gedächtnis. Ich könnte dein Gesicht gar nicht vergessen, selbst wenn ich es wollte.« Es sollte wie ein Scherz klingen, kam aber irgendwie merkwürdig rüber, fand ich.
»Gut zu wissen.«
»Nee«, sagte ich schnell. »Überhaupt nicht. Ein fotografisches Gedächtnis ist ein Segen und ein verdammter Fluch.«
»In meinem Fall ist es doch wohl ganz klar ein Segen.«
»Du hast keine Ahnung.«
»Musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?«
»Probier es aus.«
»Lieber nicht.«
»Hätte ich dir auch nicht geraten.«
»Zicke.«
»Wichtigtuer.«
»Nervensäge.«
»Angeber.«
»Du gibst vermutlich noch nicht mal dann Ruhe, wenn man dich küsst, oder?« Sobald er das gesagt hatte, schaute er erschrocken nach vorne. Ich wurde rot. Und zum ersten Mal hatte ich kein Bedürfnis mehr, auch nur einen Piep zu sagen. Der Rest der Fahrt herrschte Schweigen. Ich wollte vor der Schule schnell aussteigen, da sagte er: »Moment noch. Das Buch.«
Ich wartete vor dem Auto. Ich konnte seine Anwesenheit nicht eine Sekunde länger ertragen. Er kritzelte ein paar Minuten vor sich hin. Dann ließ er die Scheibe herunter und reichte es mir durch das Fenster. Ich steckte es ein, ohne ihn oder das Buch eines Blickes zu würdigen. Er sollte bloß nicht denken, ich würde mich dafür interessieren. Er sollte bloß nicht denken, dass er mein Freund wäre, nur weil er in mein Freundebuch schreiben durfte. Und er sollte bloß nicht denken, dass ich ihn küssen würde. Ich sagte nicht Tschüss, sondern ging einfach davon, ohne mich noch einmal umzusehen. Sobald ich im Klassenraum war, musste ich natürlich lesen, was er für einen Mist verzapft hatte. Ich konnte es ja nicht an Nora geben, wenn ich das nicht wusste. Nachher blamierte er mich bis auf die Knochen vor meiner Klassenkameradin. Ich hatte also die Pflicht, es zu lesen. In schiefen Großbuchstaben stand da:
Name: Enzo Tremante Alter: 22 Jahre
Lieblingsessen: Spaghetti Bolognese
Lieblingsfarbe: schwarz
Lieblingspferderasse: Elefant
Das will ich einmal werden: Das darf ich nicht schreiben, sonst wirst du sauer.
Das wünsche ich dir: Dass du dein Glück findest. Und dir dabei nicht die Finger verbrennst.
Dort wo das Foto hinsollte, hatte er sich selbst gemalt. Mit Glubschaugen und schiefen Zähnen. Besser so?, hatte er danebengeschrieben. Ich unterdrückte ein Grinsen. Was für ein Spinner.
»Hey, Nora«, rief ich. »Ich habe was für dich.« Ich reichte ihr das Freundebuch. »Ich erkläre Freundebücher offiziell wieder zum Kult.«
»Oh, danke«, sagte Nora und schaute verwirrt auf den dicken Pferdekopf unter dem in schnörkeliger Schrift »Meine Freunde« stand. »Oh, darf ich auch?«, fragte Merle, die im Vorbeigehen mitgehört hatte.
»Na klar. Nach Nora bekommst du es sofort«, sagte ich. Sobald ich Noras Schriftprobe hätte, wäre ich damit sehr großzügig.
»Hast du eigentlich noch mit diesem John gesprochen?«, fragte Nora.
»Nein«, sagte ich. »Ich hatte die letzten Tage einfach zu viel zu tun. Und irgendwie lohnt sich der Aufwand doch
Weitere Kostenlose Bücher