Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben
nehmen wollen.«
»Was willst du?«, fragte sie ungeduldig.
»Äh. Ich hatte Laura ein Buch geliehen und… äh… ich hätte es gerne wieder.«
»Oh«, sagte die Mutter. »Ich weiß nicht, ob ich es finde.«
»Es ist doch bestimmt in ihrem Zimmer.«
»Um welches Buch handelt es sich?«, unterbrach Lauras Mutter.
»Um das Buch an sich geht es mir gar nicht«, sagte ich schnell. »Es geht mir mehr um die Widmung. Könnte ich nicht vielleicht in ihrem Zimmer…«
»Nein, das geht nicht«, beschied sie. »Sag mir den Titel des Buches. Wenn ich dein Exemplar nicht finde, dann schicke ich dir ein neues und du müsstest die Widmung eben erneut holen.«
»Das ist nicht nötig«, sagte ich.
»Ich bestehe aber darauf, dass wir nichts schuldig bleiben.«
»Na gut. Das Buch heißt ›Die Tribute von Panem‹.«
»Ach, ich dachte, es wäre ein Lehrbuch«, sagte Frau Cheng verwirrt. »Was anderes las Laura eigentlich nicht.«
»Ja, dieses Buch hat einige zum Lesen gebracht, war ein Mega-Bestseller und wurde auch verfi…«
»Jaja, schon gut«, unterbrach sie ärgerlich, als ob das Lesen eines Romans ihre Tochter nachträglich zum Versager abstempeln würde. Sie holte einen Zettel und schrieb den Titel und meine Adresse auf. Ich nahm allen Mut zusammen und fragte: »Darf ich trotzdem noch mal in ihr Zimmer?«
Sie sah mich an, als wäre ich der letzte Dreck. »Nein. Lasst sie doch endlich alle in Ruhe, ihr…« Sie verzog angeekelt den Mund und suchte nach einem passenden Schimpfwort. »Ihr Mädchen«, presste sie hervor, als sei es was Abartiges. Und dann schlug sie mir die Tür vor der Nase zu. Hoppla. Das hatte ja nun mal nicht viel gebracht. Langsam ging ich den Weg zurück. Und ohne dass ich groß darüber nachdachte, zwängte ich mich durch die kleine Lücke in der Hecke und betrat den Garten. Wo ich schon mal hier war, konnte ich mich auch ein bisschen umsehen. Es war eine zweigeschossige Villa. Landhausstil. Gitterfenster, weiße Holzverkleidungen. Großer Garten. Garage. Mülltonnen in einem Holzverschlag davor. Im ersten Stock war ein Balkon mit weißem Holzgeländer. Dort hing ein Windspiel aus bunten Glasschmetterlingen. Mmhh. Lauras Mutter schien mir jetzt nicht gerade der Typ für solche Kinkerlitzchen zu sein. Könnte Lauras Zimmer sein. Vielleicht konnte ich von der Garage aus in das Zimmer sehen. Das Garagendach war ungefähr auf Höhe des Balkons, ein bisschen nach vorne versetzt. Ich kletterte auf den Holzverschlag der Mülltonnen und stemmte mich auf das Garagendach. Die Nachbarhäuser wurden von hohen Tannen und Fichten verborgen. Von der Straße könnte man mich vielleicht entdecken, aber es war eine wenig befahrene Straße in einem noblen Stadtteil, es war Mittag und ich hoffte einfach, dass von dort jetzt einfach niemand einen Blick in den Garten warf. Und ich hoffte, dass Lauras Eltern keine Rundumvideoüberwachung hatten. Ich lief bis ans Ende des Garagendachs. Mmhh. Von unten hatte es einfacher ausgesehen, von hier auf den Balkon zu kommen. Er lag immer noch einen guten Meter über mir. Blöder war aber, dass eine Hausecke dazwischenlag, die es zu überwinden galt. Ein Regenrohr bot die einzige Möglichkeit, sich festzuhalten. Ich ließ mich nach vorne fallen und klammerte mich mit beiden Händen an dem eiskalten Rohr fest. Ich sprang ab, schwang nach vorne wie beim Stabhochsprung und gelangte mit der rechten Fußspitze auf den Balkonboden. Mein linker Fuß hing noch in der Luft und ich überlegte, wie gut diese Idee eigentlich gewesen war. Ich atmete tief ein, stemmte den linken Fuß an die Hauswand und ließ mit rechts das Regenrohr los. Mit den Fingerspitzen kam ich immer noch nicht an das Geländer. Ich drückte mich, so fest ich konnte, mit dem linken Fuß von der Hauswand, mit dem linken Arm vom Regenrohr ab und schaffte es gerade so, das Geländer zu packen zu kriegen. Ich kletterte rüber und atmete tief durch. Puh. Das war knapp. Aus dem Hausinneren hörte ich den Hund bellen. Und ich stellte fest, dass ich überhaupt nicht daran gedacht hatte, wie ich vom Balkon in das Zimmer kommen sollte. Doch ich hatte Glück. Die Klinke der Balkontür war nicht eingerastet, ich konnte sie einfach aufdrücken. Und stand in einem großen hellen und fast leeren Zimmer. Das Bett, ein romantisches Metallbett, war der Matratze beraubt worden und stand nutzlos in einer Ecke. Leicht abgedunkelte Ränder an den Wänden zeugten von Postern, die dort gehangen haben mussten. Ich konnte nur noch raten, für
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