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Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben

Titel: Gefaehrliche Gedanken - Zu schoen zum sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hanna Dietz
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nicht. Sie hat sich umgebracht, und egal, ob ich John finde oder nicht, davon wird sie nicht wieder lebendig.«
    »Sag ich doch«, sagte Nora erleichtert. Sie winkte mir noch mal zu und ging an ihren Platz. Während des Unterrichts beobachtete ich sie von hinten. Was ist dein Geheimnis?, fragte ich mich. Was hast du mit der ganzen Sache zu tun? Und was wusste ich eigentlich bisher? Während Frau Hanemann die englischen Konditionalsätze wiederholte, schrieb ich in mein Heft eine Zusammenfassung meiner bisherigen Erkenntnisse.
    1. Laura hatte im Biolabor ihre eigene Ermordung inszeniert mit der Blumenbotschaft: Lass mich in Frieden (Margerite). Du bist untreu (Aster). Verzweiflung, ich bin todunglücklich (Zypresse).
    Motiv: Sie wollte jemandem einen Schrecken einjagen. Oder sie wollte, dass sie jemand von dem Selbstmord abhält. Vermutlich Pascal von Cappeln.
    2. Laura war ertrunken, nachdem sie Schlaftabletten geschluckt hatte.
    3. Sie hat einen Abschiedsbrief geschrieben. Inhalt: unbekannt.
    4. Auf ihrer Beerdigung waren keine jungen Leute. Keine Freunde. Es gab keinen Hinweis auf ein eigenes Leben.
    5. Außer dem unbekannten Verehrer, der aus der Ferne Abschied genommen hatte.
    6. Laura hatte eine Affäre mit Pascal von Cappeln.
    7. Nora hat vermutlich ein Tagebuch gefälscht, um mich von dem Selbstmord zu überzeugen. Warum?
    Ich las mir alles noch mal durch. Der Punkt war der: Jetzt, wo ich mir fast sicher war, dass Laura das Tagebuch nicht selbst geschrieben hatte, wusste ich auf einmal gar nichts mehr über sie. Wenn einer tot ist, kann man nur noch indirekt was über ihn erfahren. Durch das, was die Leute über ihn reden. Und das, was er hinterlassen hat. Ich entschloss mich zu einer drastischen Maßnahme und meldete mich im Sportunterricht krank (Monatsbeschwerden – ha! Blödeste Ausrede ever! –, aber funktioniert immer) und sagte Enzo, ich müsse bei einer Klassenkameradin ein Buch abholen. Ich nannte ihm Lauras Adresse, die ich damals in der Polizeiakte gesehen hatte. Wenn es nicht gerade um meinen Bodyguard ging, war mein fotografisches Gedächtnis eine feine Sache. Ich sagte ihm, er solle im Wagen sitzen bleiben, ich sei gleich zurück. Mein Plan war, mir unter dem Vorwand mit dem Buch Zugang zu ihrem Zimmer zu verschaffen und mich dort ein bisschen umzusehen. Natürlich war mir mulmig zumute. Die Eltern waren auf der Beerdigung so kalt und unsympathisch gewesen. Und vor allem hatte ich überhaupt keine Lust, dem Vater und seinem gemeinen Leibwächter zu begegnen. Aber es war Nachmittag und ich hoffte, dass der Vater samt dem bösen Jackie Chan auf der Arbeit war und dass die Mutter alleine etwas zugänglicher wäre. Das Risiko musste ich einfach eingehen, um Laura besser kennenzulernen. Und vielleicht konnte ich ja auch eine Schriftprobe finden, die bewies, dass Laura auf gar keinen Fall die Autorin des Tagebuchs war. Auf dem Weg zu der Haustür aus massivem weißem Holz mit einem goldenen Löwenkopf als Türklopfer redete ich mir gut zu, dass mir schon nichts passieren würde. Buch suchen, umschauen, abhauen. Das war der Plan. Links und rechts der Auffahrt wuchsen breite Hecken, die auch zu dieser Jahreszeit grün waren. Doch nach etwa zehn Metern tat sich an der rechten Seite eine kleine Lücke auf. Dort stand in der Hecke ein großer Baum, eine Erle oder Eiche oder Linde – keine Ahnung. Durch die Lücke konnte ich in den Garten sehen, eine nichts sagende grüne Fläche mit ein paar Bäumen. Ich erreichte die Haustür und drückte den Klingelknopf unter der Halbkugel aus verspiegeltem Glas, hinter der sich die Kamera befand, die jetzt ins Innere des Hauses mein Bild übertrug. Ein Hund schlug an. Dem Bellen nach zu urteilen, ein großer Hund. In meinem Magen fuhr eine Achterbahn los. Bitte lass den Vater nicht da sein! Bitte lass nicht den bösen Jackie Chan öffnen! Dann verstrichen die Sekunden, bis ich irgendwann hoffte, dass überhaupt jemand zu Hause war. Ich wollte gerade aufgeben, da wurde doch noch die Tür aufgemacht. Es war Lauras Mutter. Zusammengepresster Mund, tiefe Falten, leere Augen. Das beruhigte mich. Vielleicht hatte die Frau doch Gefühle. »Guten Tag, Frau Cheng. Ich hoffe, ich komme nicht ungelegen«, sagte ich höflich.
    »Du warst doch auch auf der Beerdigung. Ohne eingeladen zu sein«, stellte sie fest und musterte mich mit verkniffenem Gesicht.
    »Ja«, sagte ich zerknirscht. »Ich heiße Natascha und gehe in dieselbe Klasse wie Laura. Und ich hatte von Laura Abschied

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