Gefaehrliche Gefuehle
lauschten wir dem Gespräch im Feenzimmer, in dem Silvy sich in allen Einzelheiten über meine Verdorbenheit ausließ und wie schlimm es wäre, dass sie mich mal für eine Freundin gehalten hatte. Kalter Kaffee. Fand wohl auch Marie, die das Thema bald auf David Wöbke lenkte. Aber Silvy sagte leider nichts Belastendes. »Ich werde business as usual machen, damit meine Mutter zufrieden ist und keiner denkt, ich würde mich jetzt vor David verstecken.«
»Ja«, pflichteten ihr Marie und Lola bei. »Das ist genau richtig, Silvy.«
»Ich könnte es meiner Mutter nicht antun. So viele Spenden wie in diesem Jahr gab es noch nie! Das werde ich nicht gefährden. Obwohl es mir natürlich schwerfällt.« Sie war gerührt von sich selbst, das hörte man ihr an. Becky machte eine Geste, als ob sie Geige spielen würde, und ich verkniff mir ein Lachen.
»Sie werden sich nachher noch mal dort treffen«, sagte ich, nachdem die drei zu ihren Besuchsdiensten abgedampft waren. »Vielleicht verraten sie sich dann.«
Wir zogen die Kopfhörer ab.
»Willst du eine Zeitschrift?«, fragte ich.
»Was gibt es denn?«
»Bravo, Young Miss und eine inTouch.«
Becky entschied sich für die Bravo, stöhnte aber bei jeder Seite über die Blödheit der abgebildeten Leute und schmiss die Zeitung auf den Nachbartisch. »Erzähl mir lieber, was die Polizei von dir wollte.«
»Das mache ich aber nur, liebe Becky, wenn du endlich das Geheimnis um dein amputiertes Bein lüftest.«
»Ist deine Geschichte gut?«, fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern. »Wirst du dann ja sehen.«
Becky biss sich auf die Zähne. Die Familie hatte ihr Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel beendet und brachte die Tochter zurück auf ihr Zimmer. Wir waren allein. Becky starrte in die Ferne.
»Meine Eltern meinten, ich sollte mehr rauskommen«, fing sie an und verzog dabei angewidert den Mund. »Mehr in die Natur gehen. Und damit ich mal sehen würde, wie toll die Natur sein könne, würden wir einen total tollen Urlaub machen. In Costa Rica.«
Sie nestelte an ihrem Pulli rum. Ich hielt zu meinem Erstaunen die Klappe und wartete, bis sie von alleine weiterredete. »Aber weil meine Eltern solche Schwachköpfe sind, haben sie sich null erkundigt, was dort in der Natur wirklich abgeht. Wir gehen also spazieren, im Garten hinter unserer Lodge, und meine Mutter ruft dauernd, oh wie schön und guck mal da die Blume und guck mal da, der Kolibri! Und …« Sie musste sich wirklich überwinden, das sah ich ihr an. »Und weil sie so blöd daherplappert, bemerkt keiner die Schlange, die sich unter ein Gebüsch verkrochen hatte. Und dann schießt sie plötzlich hervor, beißt mich und haut wieder ab. Ich glotz auf mein Bein und meine Eltern schauen der Schlange hinterher. Sie haben sie genau gesehen. Haben sie behauptet. Nur leider haben sie dem Arzt dann gesagt, es sei eine Klapperschlange gewesen. Nur weil sie dieses Wort schon mal gehört haben, vermutlich.« Sie machte wieder eine Pause.
»Es war aber keine Klapperschlange«, sagte ich sanft.
»Nein, es war eine verdammte Terciopelo-Lanzenotter, ein scheißgiftiges Scheißvieh. Und diese blöden Scheißviecher sind so giftig, dass ihr Gift das Gewebe zersetzt. Und weil ich nicht direkt das richtige Gegengift bekomme habe, wurde mein Bein ganz schwarz und schrumpelig, wie ein Würstchen, das zu lange auf dem Grill war. Und dann mussten sie es mir abnehmen. Ende der Geschichte.«
»Scheiße«, entfuhr es mir.
»Das kannst du laut sagen. Aber das Gute daran ist, dass ich mich so an ihnen rächen kann. Jeden Tag. Sie müssen mir einfach jeden Wunsch von den Augen ablesen und werden es mir richtig, richtig büßen.«
»Das haben sie doch schon«, sagte ich leise.
»Was bist du denn für eine blöde Ziege!«, brauste sie auf. »Sie sind schuld! Sie haben mir mein Leben kaputt gemacht! Und dafür werde ich mich rächen.«
»Becky, du kannst dich vielleicht an ihnen rächen«, sagte ich leise. »Aber du kannst dich nicht am Schicksal rächen.«
Sie presste die Lippen aufeinander, bis sie ganz weiß waren. »Du hast leicht reden«, sagte sie dann mit bebender Stimme. »Ihr habt alle leicht reden. Ich … ich wollte Cheerleaderin werden«, stieß sie hervor. »Verdammte Scheiße!« Sie sah aus, als würde sie gleich anfangen zu weinen. Ich legte ihr die Hand auf den Arm und überlegte, ob ich Taschentücher dabeihatte. In dem Moment erwachte das Display von Beckys Computer zum Leben und auf der Pegelanzeige waren leichte
Weitere Kostenlose Bücher