Gefaehrliche Gefuehle
Gummi-Tränensäcke ankleben sollen.«
»Ich komme noch drauf«, sagte Fabienne langsam.
»Und du hast dich gar nicht verkleidet?«, fragte ich sie.
»Doch, natürlich!«, gab sie empört zurück. »Ich bin die Camille aus Zusammen ist man weniger allein.«
»Ach so. Also, dann. Viel Glück beim Wettbewerb!«
»Wer bist du denn jetzt?«, rief Deborah mir hinterher, aber ich verriet nichts. Also echt. Wer da nicht draufkam, der hatte wirklich gar keine Ahnung. Aber auch Diana alias Elizabeth Bennet aus Stolz und Vorurteil hatte Schwierigkeiten, meine geliehene Identität zu erraten, und ich begann mich zu fragen, ob es an meinem Kostüm lag oder an der mangelnden Bildung meiner Klassenkameradinnen, was Schwarz-Weiß-Filme angeht.
»Irina ist auch Elizabeth Bennet«, stellte Diana säuerlich fest. »Aber sag mal ehrlich, ich seh doch besser aus, oder nicht?«
»Du siehst ganz entzückend aus«, bestätigte ich, denn das tat Diana tatsächlich. »Davon abgesehen geht Irina als Anna Karenina.«
»Meinst du echt?«, rief sie aufgeregt. »Habe ich es doch gleich gewusst! Aber Jasmin wollte es mir ja nicht glauben.«
Ich sagte ihr nicht, dass ich noch mindestens zwei weitere Elizabeth Bennets entdeckt hatte, und ließ sie weiterziehen. Mit einem Kirschpunsch in der Hand (alkoholfrei wie alle Getränke auf dieser Veranstaltung) setzte ich mich auf einen der roten Original-Theaterstühle, die in einer Reihe am Rand der Aula aufgebaut worden waren. Vielleicht sollte ich meine Meinung über Kostümfeste ändern. Es war durchaus amüsant. Fantasyfiguren aus Herr der Ringe vermischten sich mit Scarlett O’Haras, Sherlock Holmes und einer Menge Vampire weiblichen und männlichen Geschlechts. Suze kam als Katniss Everdeen aus Tribute von Panem mitsamt Bogen und Pfeilen mit Gummispitze, dann gab es eine Gwendolyn aus Rubinrot und natürlich diverse Harry Potters. Und dann ging die Tür zur Aula auf und eine Erscheinung aus der Unterwasserwelt betrat den Raum. Es war Neptun mit einer Meerjungfrau, wobei sich ihr freizügiges Outfit und das Thema Keuschheit ganz eindeutig ausschlossen. Die Meerjungfrau war in einen langen knallengen grünen Latexrock gequetscht, der an den Füßen zwei Flossen bildete. Obenrum war sie nackt bis auf eine Art Algen-BH und eine wallende grünliche Mähne, die bis zur Hüfte fiel und ihren Oberkörper umspielte. Ihr Mund und ihre Augenlider schillerten grünblau und ihre künstlichen Wimpern waren so lang, dass sie fast wie Seeanemonen wirkten. Alle Augen waren auf die Nixe gerichtet. An der Art, wie sie ihre künstlichen Haare warf, erkannte ich, dass es Kim war. Sie stutzte. Und kam zu mir getrippelt. »Natascha, wie siehst du denn aus?«, fragte Kim entgeistert. »So kriegst du aber keinen ab.«
»Das ist gemein!«, maulte ich gespielt schmollend und wackelte mit meinem Gummikinn. »Dabei bin ich doch soooo schön. Hi Michail.« An dem diamantenen Grinsen zwischen seinem Rauschebart hatte ich ihn erkannt.
»Hallo«, sagte er. »So man sich sieht wieder.«
»Also echt«, meckerte Kim. »Was hast du dir dabei nur gedacht? Der Sinn eines Kostümballs ist doch, dass man sich sexy anzieht!« Sie klimperte mit ihren zentimeterlangen Wimpern.
»Das hat die sich anscheinend auch gedacht«, sagte ich und deutete auf Beate Friedrich, unsere Kunstlehrerin, deren äußerst knappes schwarzes Korsagen-Minikleid den dringenden Wunsch erweckte, das Licht noch weiter herunterzudimmen. Statt Blond trug sie heute eine schwarze Kurzhaarperücke mit keck hervorstehenden Löckchen, halterlose Nylonstrümpfe und rote Pumps. Dicke rote Plastik-Creolen baumelten an ihren Ohren, dazu passten ihre roten Armbänder. Sie hatte sich tatsächlich nicht entblödet, ihre anderthalb Zentner Fleisch in ein Pin-up-Kostüm zu stecken.
»Was will die denn darstellen?«, fragte Kim verächtlich.
»Betty Boop«, sagte ich.
»Betty Boop sollte mal zu Weight Watchers gehen. Tsess!« Kim verdrehte die Augen. »Ich würde niemals eine Korsage anziehen, wenn ich so fett wäre.«
»Zum Glück du hast die Rundung an der richtige Stelle«, sagte Neptun und griff ihr grinsend an den Hintern. »Aber ich muss auch sagen«, wandte er sich an mich. »Für Männerfang dein Kostüm ist nicht gut.«
»Zum Glück«, sagte ich.
»Sei nicht langweilig«, tadelte Kim. »Und jetzt brauche ich was zu trinken, Mischa.«
»Zu Befehl, meine Prinzessin«, sagte er und ging Richtung Bar.
»Ist er nicht süß?«, seufzte Kim. »Und dieser Ferrari!
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